Eishockey-Fan mit Messer niedergestochen:Stich ins Herz der Szene

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Die Messerattacke von hinten verfehlte seine Milz nur knapp: Bei einem Oberligaspiel der Tölzer Löwen gegen Deggendorf Fire wird ein 20-Jähriger schwer verletzt. Die brutale Tat in Bad Tölz ist kein Einzelfall - unter Eishockeyfans steigt die Gewaltbereitschaft.

Johannes Schnitzler

Quirin S. hat Glück gehabt. Das Messer verfehlte seine Milz knapp: Die Klinge traf den Knochen. Der 20-Jährige wird wohl nur eine Narbe zurückbehalten. Und die Erinnerung an einen Eishockeyabend, der für ihn auf der Intensivstation endete.

Am Freitag war S. nach Bad Tölz gefahren, um sich das Oberliga-Spiel zwischen Tölzer Löwen und Deggendorf Fire anzusehen, Zweiter gegen Fünfter. In einer Zigarettenpause, so schildert es der Fan des Deggendorfer Teams, sei er vor der Arena in eine Auseinandersetzung geraten. Erst flogen die Fäuste. Dann stach sein Kontrahent zu.

Walter Kremser, Mannschaftsarzt der Tölzer Löwen, leistete die Erstversorgung der stark blutenden Stichwunde, der Notarzt transportierte S. schließlich ins Krankenhaus. Der Täter, laut Zeugen zwischen 20 und 25 Jahre alt, flüchtete. Er soll einen Fan-Schal der Tölzer Löwen getragen haben. Die Kriminalpolizei ermittelt.

In Tölz ist das Entsetzen über die Messerattacke auch zwei Tage nach der Tat groß, in den Schock mischt sich Empörung. "Ich hoffe, dass sie die Sau bald haben", sagt einer aus dem Umfeld des EC Bad Tölz. Präsident Josef Hintermaier besuchte Quirin S. am Samstag und entschuldigte sich im Namen des Vereins bei ihm.

In einer Stellungnahme des Klubs heißt es: "Es ist schlimm, dass ein solcher Vorfall unseren schönen Sport belastet und einen Schatten auf den Eishockeystandort Bad Tölz wirft. Wir bedauern zutiefst, was am Freitag geschehen ist, und distanzieren uns von dieser verabscheuungswürdigen Tat. Wir werden alles daran setzen, dass der Täter gefunden und zur Rechenschaft gezogen wird." Wie Hintermaier berichtet, drohte die Situation im Stadioninneren weiter zu eskalieren. "Das war der Moment, in dem ich 110 gewählt habe."

"Da bleibt was hängen"

Für die Eishockeyszene ist der Vorfall ein Stich ins Herz. Zwar seien die dramatischen Ereignisse vom Freitag als "Einzelfall" einzuschätzen, betont Hintermaier; im Bundesvergleich gehörten die Tölzer Fans zu den "Anständigeren". Und dennoch: "Da bleibt was hängen", befürchtet der Präsident.

Bislang galten Eishockey-Fans bei aller Rivalität als vergleichsweise friedlich. Vor und nach den Spielen kommt es zu regelrechten Verbrüderungsszenen. Zur Folklore gehören Bilder von internationalen Turnieren, wenn Fans aus Berlin, Köln oder München in ihren Vereinstrikots gemeinsam die Nationalmannschaft anfeuern. Doch die Gewaltbereitschaft nimmt offenbar zu. "Der Eindruck trügt nicht", sagt Josef Hintermaier.

In der Oberliga Süd reichen die Vorfälle allein im vergangenen Jahr von Sachbeschädigung bis Körperverletzung: In Grafing werden die Nummernschilder des Tölzer Mannschaftsbusses entwendet; in Tölz wird bei einem Gerangel eine Frau leicht verletzt; nach wiederholten Geldstrafen für den Verein wegen des Abbrennens von Pyrotechnik droht der Präsident des EHC Klostersee, Alexander Stolberg, mit Stadionverbot, wenn Fans "auch nur ein einziges Konfetti anzünden".

In Dorfen (Kreis Erding) musste vor zehn Tagen die Polizei bei einem Bayernliga-Spiel eingreifen, als Fans des ESC die Schiedsrichterkabine stürmten. Die Messerattacke von Bad Tölz hat nun eine neue Qualitätsstufe erreicht. Die Polizei in Erding habe bereits angefragt, ob ähnliche Vorfälle zu erwarten seien, wenn die Löwen am nächsten Sonntag zum Derby bei den Gladiators antreten.

"Und ich dachte, wir Eishockey-Fans sind friedlich!"

Dass Hemmschwellen sinken, sei nicht eishockeyspezifisch, sagt Josef Hintermaier: "Die Leute reagieren sich bei Großveranstaltungen ab." Aber die Aggression nehme in besorgniserregendem Ausmaß zu. "Böse Worte oder ein angedeuteter Faustschlag sind schlimm genug", meint Hintermaier. "Aber eine Waffe - das darf nicht sein!" Wenn man Sicherheitsschleusen an den Stadiontoren installieren müsse, "dann weiß ich nicht, ob ich da noch mitmachen will", sagt der 64-Jährige. Zusätzlich befeuert werden handgreifliche Auseinandersetzungen durch den Ausschank von Alkohol in den Stadien.

Von der DEL bis zur Bezirksliga werben viele Teams für Bier, wie etwa der EHC München. In Tölz hält der Hauptsponsor, eine Brauerei, die Namensrechte am Stadion. Die Klubs leben vom Geld der Sponsoren, die Wirte in den Stadien vom Durst der Fans. Ein Spielbetrieb ohne Bierausschank sei schlichtweg "nicht vorstellbar", heißt es lapidar. Außerdem könne man nicht kontrollieren, was die Kundschaft vor den Spielen konsumiere.

Bei den Tölzer Löwen will man nun mit den "echten Fans" an präventiven Lösungen arbeiten. "Wichtig ist, dass es dem Buam wieder gut geht", sagt ECT-Präsident Hintermaier. Quirin S. geht es den Umständen entsprechend. "Ich werde gut versorgt, habe keine Schmerzen und möchte am liebsten schnell heim", sagte der 20-Jährige am Samstag. Noch am Wochenende gingen via Internet Genesungswünsche aus der ganzen Republik ein.

Ein Anhänger der Mannheimer Adler schreibt: "Und ich dachte, wir Eishockey-Fans sind friedlich!"

© SZ vom 13.02.2012/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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