Literatur:Ein Plädoyer fürs Leben

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Die Ickinger Schauspielerin Isabel Schupp hat ein berührendes Buch über das Sterben ihrer Tochter geschrieben

Von Petra Schneider, Icking

Am Freitag habe ich angefangen, das Buch zu lesen: "Die Nacht bringt dir den Tag zurück - Leben und Abschied meiner Tochter", geschrieben von der Ickinger Schauspielerin und Autorin Isabel Schupp. Beim Kapitel "Drei Orangen" sind mir das erste Mal die Tränen gekommen: Seit 35 Tagen liegt Pauline auf einer streng abgeschirmten Intensivstation. Man hat ihr fremdes Knochenmark transplantiert, das Immunsystem ist zusammengebrochen. Keime würden sie umbringen.

Pauline ist 14 und hat Leukämie. 35 Tage auf zehn Quadratmetern - eine verdammt lange Zeit. Und dann öffnet sich für ein paar Minuten die Tür zum Vorraum, "einem Paradies an Farben und wunderbaren Gegenständen": schmutzige, braune Straßenschuhe, eine graue Kapuzenjacke, eine hässliche Tasse aus der Teeküche. Und drei Orangen, "die von einem Leben draußen erzählten, von der Sonne und von den Obstständen und Obstverkäufern und Verkehr drumherum, von einkaufenden Menschen in bunten Kleidern, von frischer Luft, von Lebendigkeit. Immer wieder musste die Mutter die Orangen drehen und wenden. Näher, sagte der Glatzkopf, näher, komm, lass mich mal riechen, bitte, bitte, Mami, nur einmal."

Auf Seite 59 lege ich das Buch weg: Es ist eine Zumutung, es macht mich fertig. Ich habe selbst drei Kinder. Die Jahre voller Hoffnung und Angst, die intensiven Momente zwischen Mutter und Tochter, die Schuldgefühle den beiden Geschwistern gegenüber, die immer zurückstecken müssen - so ehrlich und intensiv geschildert, dass es wehtut.

Von der ersten Zeile an ist klar, dass Pauline den Kampf gegen den Krebs verlieren wird. Also kein Mut machendes Happy-End in Aussicht, trotzdem umkreise ich das Buch am Wochenende wie eine Beute. Es ist diese tiefe Menschlichkeit, die mich fesselt und weiterlesen lässt. Die anrührende Offenheit, mit der Schupp das Leben ihrer Familie und die letzten Jahre ihrer Tochter beschreibt: Sieben Jahre, die geprägt sind von Therapie, Heilung, Rückfällen. Es ist ein kluges Buch, traurig und manchmal komisch. Etwa wenn Schupp beschreibt, wie sie und ihre Familie, allesamt rationale, aufgeklärte Menschen, Rettung von Heilern, Teemischungen und Wässerchen erhoffen, als alles schon verloren ist.

Die Autorin erzählt lebendig und in schönen Bildern. So werden etwa die beiden Antagonisten Hoffnung und Angst zu allegorischen Figuren: "Pauline ist jetzt gesund, sagte die Hoffnung. Erst in fünf Jahren, sagte die Angst." Oder: "Die Hoffnung kommt herein. Sie sieht noch etwas mitgenommen aus, hat aber Lippenstift und etwas Rouge aufgelegt."

Auch Pauline kommt zu Wort: In Tagebucheinträgen und beeindruckenden Gedichten, die von der Reife und Reflektiertheit der 16-Jährigen zeugen. Ihre Geschichte wurde in dem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm "Seelenvögel" verfilmt, der das Leben dreier an Leukämie erkrankter Kinder und ihrer Familien zeigt.

Schupp erzählt in ihrem Buch nicht nur vom Sterben ihrer Tochter, sondern konfrontiert den Leser auch mit einer einfachen und gerne verdrängten Wahrheit: Wir werden alle sterben und geliebte Menschen beim Sterben begleiten müssen. Wie also weiterleben? Schupp macht sich auf die Suche, setzt sich mit Christentum und anderen Weltreligionen auseinander und findet für sich im Buddhismus einen Weg.

Am Montag ist mein Sohn mit einer Fünf im Diktat nach Hause gekommen. Normalweise wäre ich sauer gewesen, nun bleibe ich ruhig. Ich freue mich, dass er ein gesunder, fröhlicher Bub ist, den Noten nicht weiter bekümmern. Meine Prioritäten haben sich verschoben. Wegen eines Buchs? Ja, und wenn die Wirkung nachlässt, dann werde ich es noch einmal lesen. Denn dieses Buch ist ein großartiges Plädoyer für das Leben. Augenblick für Augenblick.

Isabel Schupp: "Die Nacht bringt dir den Tag zurück", 160 Seiten, Verlag Kamphausen. ISBN: 978-3-89901-884-4. Lesungen am Montag, 24. November, 19.30 Uhr, Buchhandlung Isartal, Ebenhausen, und Dienstag, 18. November, 20 Uhr, mit Geiger Winfried Grabe im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof, München. kontakt@isabel-schupp.de

© SZ vom 14.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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