Lenggries:Asyl in der Waldkirche

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Die evangelische Gemeinde in Lenggries nimmt zwei junge Kurden in Obhut, um ihre Abschiebung nach Bulgarien zu verhindern. Pfarrer Stefan Huber spricht von einem Akt der Nächstenliebe

Von Felicitas Amler, Lenggries

Es geht leger zu zwischen dem Pfarrer und dem kurdischen Flüchtling aus dem Irak: "Schreib mir einen Einkaufszettel", sagt Stefan Huber, als er geht. Und das wird der junge Mann auch tun. Denn er selbst sollte das Haus besser nicht verlassen, um in den Supermarkt zu gehen: Kaid, 25 Jahre alt, und sein Landsmann Fouad, 21, leben im Kirchenasyl. Die evangelische Gemeinde Lenggries hat die beiden aufgenommen, betreut und versorgt sie. Seit wenigen Wochen sind sie in der ehemaligen Hausmeisterwohnung der Waldkirche untergebracht. Sollte die Polizei sie außerhalb dieses Schutzraums erwischen, würden sie gemäß der sogenannten Dublin-III-Verordnung der EU abgeschoben - in jenes Land, in dem sie zuerst Asyl suchten. Im Fall der beiden Kurden wäre dies Bulgarien. Ein Land, von dem bekannt ist, dass Flüchtlinge dort unter miserablen bis unerträglichen Bedingungen leben müssen; Pro Asyl berichtet von Folter.

Vor dieser Gefahr wollte die evangelische Landeskirche die beiden schützen. Sie wandte sich deshalb an die Lenggrieser Kirchengemeinde. Pressesprecher Johannes Minkus betont, die Landeskirchenleitung lege Wert darauf zu sagen, dass sie keinen besonderen Rechtsraum für sich beanspruche. "Wir verstehen Kirchenasyl als Ultima Ratio, als eine letzte Möglichkeit der Humanität."

Für Pfarrer Huber ist das Kirchenasyl vor allem ein Akzt der Nächstenliebe

Pfarrer Stefan Huber und der Kirchenvorstand haben sich schon vor Monaten mit der Frage auseinandergesetzt, ob sie gegebenenfalls Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren würden. Die Waldkirche besitzt nämlich eine kleine Wohnung, die seit drei Jahren leer steht, 40 Quadratmeter über der Kirche. "Wir haben Räume - im Grunde geht's nur darum", so erklärt sich Pfarrer Huber, warum die Landeskirche schon mehrmals wegen Kirchenasyl bei ihm angefragt hat. Bisher hatte sich das immer wieder zerschlagen. Allerdings hatte in einem der Fälle die Montessorischule die Räume schon so weit hergerichtet, dass sie wieder bewohnbar sind. Und das kommt nun Fouad und Kaid zugute.

Die beiden jungen Männer sind Angehörige der im Irak von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgten Minderheit der Jesiden. An ihre Fluchtgeschichte und auch an die Erlebnisse, die sie in Bulgarien hatten, möchte Huber gar nicht rühren. Es müssen sehr schlimme Erfahrungen sein, so viel weiß er. Für seine Entscheidung pro Kirchenasyl brauchte er ohnehin keine Details: "Die Frage stellt sich mir gar nicht", sagt er. Es handle sich um zivilen Ungehorsam, aber vor allem um einen Akt der Nächstenliebe. Dies passe zu seiner Kirchengemeinde. Denn die sei mit ihren 1350 Mitgliedern zwischen Vorderriß und Gaißach eine sehr lebendige, engagierte Gemeinschaft. "Wir machen viel für Kinder, viel Erwachsenenbildung." Auch dem Helferkreis für Flüchtlinge gehörten etliche aus der evangelischen Gemeinde an. Die Waldkirche sei als eine Gruppierung mit starkem Zusammenhalt bekannt.

Was "Kirchenasyl" bedeutet, können die beiden jungen Kurden nur schwer verstehen. Sie wissen aber, dass dies im Augenblick ihre Rettung ist, dass sie in der Waldkirche geborgen sind. Fouad, der zunächst allein hier war, hatte nach wenigen Tagen Angst in der Einsamkeit. Denn so idyllisch die Kirche zu liegen scheint - am Rande des Friedhofs, unter einer ausladenden Kastanie inmitten grüner Landschaft und mit einem großen Abstand zur nächsten Wohnbebauung -, so bedrohlich kann dies auf einen Flüchtling wirken. Deswegen schickte die Landeskirche einen zweiten Mann ins Lenggrieser Kirchenasyl. Die beiden verstehen sich gut miteinander, sie kochen zusammen, spielen Fußball auf der Wiese vor der Kirche, gelegentlich kommt jemand aus der evangelischen Gemeinde zu ihnen, und bald werden sie in ihrer Zuflucht Deutschunterricht bekommen. Sie müssen unterschiedlich lang in der Obhut der Waldkirche bleiben, um jeweils eigene bürokratische Fristen zu überbrücken, bis sie einen Asylantrag in Deutschland stellen dürfen.

Beide Männer haben Verwandte in Deutschland; bei dem einen sind es Brüder und Cousins, bei dem anderen die Ehefrau - in München, also eigentlich ganz nah. Dies ist für sie vielleicht noch schwerer zu verstehen als das Wort "Kirchenasyl": dass sie nicht einfach zu ihren Angehörigen dürfen. Kaid, der seine frühere reguläre Flüchtlingsunterkunft einmal zu so einem Besuch verlassen hatte, galt den Behörden daraufhin als "untergetaucht" - was ein neues bürokratisches Verfahren mit neuen Fristen nach sich gezogen hat.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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