Kurzkritik:Der Pate von Tölz

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Souverän, beherrscht, ohne dabei auch nur einen Augenblick langweilig zu wirken: Hayo Boerema begeisterte in Tölz. (Foto: Neubauer)

Hayo Boeremas Variationen und Improvisationen in der Stadtpfarrkirche

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Wann ist eine Improvisation eine Improvisation? Oder anders: Wie stellt man sicher, dass ein angeblich improvisierender Musiker das Werk wirklich erst im Augenblick des Spielens erfindet? Hayo Boerema, Professor für Orgel-Improvisation in Rotterdam, hat in einem Interview die Lösung benannt. Nach alter Tradition, so Boerema, bekam der Spieler kurz vor Konzertbeginn einen verschlossenen Umschlag mit einem Thema gereicht, über das er improvisieren musste. Auf diese Weise war jede Vorbereitung ausgeschlossen.

Sepp van Hüllen, Organisator der Tölzer Orgelfesttage, nahm den Niederländer prompt beim Wort. Boerema bestritt am Freitag den zweiten Abend der diesjährigen Orgelfesttage und bekam zu Beginn einen verschlossenen Umschlag in die Hand gedrückt - mit dem Thema für seine abschließende Improvisation. Die Vorgabe eines Themas passte hervorragend zum Gesamtprogramm, in dem Variationszyklen im Fokus standen. Den Anfang machte "Est-ce Mars" des frühbarocken Meisters Jan Pieterszon Sweelinck, ein Werk in der Tradition franko-flämischer Polyfonie, das auf den Pedalgebrauch verzichtet. Boerema zeigte seine Stärken: farbige Registrierung, klares, ruhig-überlegenes Spiel.

Die nachfolgenden Werke waren alle im frühen 20. Jahrhundert entstanden und variierten geistliche oder weltliche Lieder. Durch das feste Thema war die Fantasie der Komponisten gebändigt, was freilich harmonische und rhythmische Überraschungen aller Art nicht ausschloss. Dem entsprach Boeremas Spiel: souverän, beherrscht, ohne dabei auch nur einen Augenblick langweilig zu wirken.

Nun kam der Höhepunkt des Konzerts: Durch die Leinwandübertragung, bei den Tölzer Orgelkonzerten mittlerweile Tradition, konnte man sehen, wie Boerema den Umschlag aufriss, das Thema herausnahm und studierte. Dann begann er zu spielen, und das verdutzte Publikum hörte das Liebesthema aus der Filmtrilogie "Der Pate". Meisterlich verarbeitete der Organist den bekannten Ohrwurm, entfernte sich manchmal weit von ihm, um dann wieder zu ihm zurückzukehren, gewann ihm zuletzt sogar ein Fugenthema ab. Als die Improvisation zuletzt mit einem mächtigen Akkord schloss, scholl ein lauter "Bravo"-Ruf durch die Kirche, bevor der Beifall losbrach.

Das - leider nur spärlich erschienene - Publikum hatte den Abend genossen, und der sichtlich erschöpfte Künstler bedankte sich freundlich, ließ sich aber zu keiner Zugabe bewegen.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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