Kunst im Freien:Wo die gelben Kühe buckeln

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Silke Lühr ist Künstlerin und Museumspädagogin. Ihren Mit-Spaziergängern bringt sie Franz Marc in eineinhalb Stunden nicht nur als bekannten Expressionisten, sondern auch als Mensch näher. (Foto: Manfred Neubauer)

Silke Lühr nimmt Interessierte auf einen Franz-Marc-Spaziergang rund um Kochel am See mit. Ihre Gäste können in den Fußstapfen des berühmten Expressionisten wandeln - und selbst zum Zeichenstift greifen

Von Thekla Krausseneck, Kochel am See

Mit Silke Lühr kann jeder für einen Vormittag zum Maler werden. Die Murnauer Künstlerin packt auf dem Thränenhügel in Kochel am See Aquarellpapier, Bleistifte und Pinsel aus, verteilt die Utensilien an ihre Begleiter und gibt eine schlichte Anweisung: Jeder soll sein Lieblingstier zeichnen - mit einer einzigen Linie und auf die wesentliche Form reduziert. So wie auch der bedeutende Expressionist Franz Marc seine Tiere malte. Auf den Spuren des Künstlers wandelt die Gruppe am Samstagvormittag - zu Fuß und mit eigenen Malversuchen.

Eine Clique aus Seniorinnen und Senioren begleitet Lühr auf ihrer Tour, Grainauer, Weilheimer und Farchater, die seit 47 Jahren befreundet sind und ihre Rente nun für gemeinsame Ausflüge nutzen. "Das letzte Mal habe ich in der Volksschule gemalt", sagt Regine Stix lachend. Sie zeichnet eine Katze auf ihr Papier, greift dann zum Pinsel und füllt die Flächen nach Lührs Anweisung mit Aquarellfarbe. Die Form der Katze soll im Farbenmosaik aufgehen. "Wir wollen damit ein Verständnis bekommen für die typischen kristallinen Strukturen in Marcs Bildern", sagt die Künstlerin, die in einem ganz ähnlichen Stil malt. "Und die ist am besten spürbar, wenn man selber Hand anlegt."

Lühr hat in Australien Kunst studiert, heute arbeitet sie als Museumspädagogin im Franz-Marc-Museum. Als große Liebhaberin der Kunst Marcs und der Kocheler Landschaft weiß Lühr einiges zu erzählen. Etwa über den Thränenhügel. Der erhebt sich am Rand von Kochel, ist ausweislich der dort unter den prächtigen Bäumen aufgestellten Bänke ein beliebtes Ausflugsziel und bietet einen herrlichen Blick über den Ort und den See. Kunstkennern könnte der Ausblick bekannt vorkommen: Auf dem Thränenhügel ist ein Foto entstanden, das Marc dabei zeigt, wie er die nackte Marie Schnür zeichnet. Hinter der Kamera wird eine andere Frau vermutet, nämlich Maria Franck. "Jeder kann sich vorstellen, wie sehr sie gelitten haben muss", sagt Lühr.

Ihr anderthalbstündiger Franz-Marc-Spaziergang ist nicht nur eine kunsthistorische Führung, sondern auch etwas fürs Herz. Sehr detailliert geht Lühr auf Marcs Verhältnis zu den Frauen ein. Die durften im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht auf der Kunstakademie studieren, sondern mussten Mädchenmalschulen besuchen, die jedoch vor allem Handarbeit lehrten. Wer die Technik des Malens erlernen wollte, musste privat bei Künstlern Stunden nehmen. So kam es, dass Marc mit Marie Schnür und Maria Franck 1914 in ein Kocheler Haus zog. "Es stimmte ihn heiter, von diesen ihn bewundernden Frauen umgeben zu sein", erzählt Lühr.

Sein Augenmerk richtete er allerdings auf Franck, der er auch die Heirat versprach. Als Schnür dann unehelich schwanger wurde, heiratete Marc stattdessen sie, damit man ihr das Kind nicht wegnahm. Vorher hatte Marc ein Verhältnis zu einer verheirateten Frau, die ihm für die heimlichen Treffen ein Atelier in München mietet - es ihm aber wieder wegnahm, als sie erfuhr, dass er es auch für Treffen mit anderen Frauen nutzte. Marc war also nicht nur ein melancholischer Künstler, sondern auch ein Genießer.

Als ernst, aber gutaussehend beschreibt Lühr ihn zu Beginn des Spaziergangs, als sich die Gruppe am Kocheler Bahnhof zusammenfindet - dort, wo auch der junge Franz Marc zusammen mit seinem Vater Wilhelm erstmals Kochel betrat. Da sein Vater ebenfalls Künstler war, wurde Marc mit der Technik des Malens schon früh vertraut gemacht. Seine Bilder - Lühr zeigt sie in die Runde - ähnelten anfangs sehr der Landschaftsmalerei seines Vaters. Im Laufe seines Lebens entwickelte sich Marc stetig vom Naturalismus weg hin zum Expressionismus. Er begründete den Blauen Reiter, der aus einer Zeit des Umbruchs hervorging, in der gleichgesinnte Künstler alles hinterfragten - das Traditionelle im Allgemeinen und den Wert der Kunst im Besonderen. "Die Künstler wollten den Vorhang lüften und die Kunst von ihrem alten Staub befreien", sagt Lühr. Ein Staub, der auch auf der "Münchner Schule" lag, der Wilhelm Marc angehörte.

Mit der Zeit wandte sich Marc vom Menschen ab und den Tieren zu. "Der Mensch ist grausam, aber die Tiere leben im Einklang mit der Natur", soll er gesagt haben.

Seine berühmte gelbe, springende Kuh ist von einem Erlebnis in Kochel am See inspiriert. Ein Hof halte die gelbe Rasse noch immer. Wenn der Winter vorüber ist, lasse der Bauer seine Tiere wieder raus auf die Weide, erzählt Lühr. "Und dann springen sie und buckeln vor Freude." Sie habe das einmal mit einer Gruppe erlebt. Vielleicht sind Marcs Kühe beim nächsten Spaziergang wieder zu sehen.

Der nächste Spaziergang findet am Samstag, 28. April, von 9 Uhr an statt, Anmeldung unter Telefon 08851/338.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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