Da ist er ja: Unverkennbar, inmitten von Paletten und Arbeitsgerät, Wannen, Holzteilen und vielerlei Gussformen - eine große Version der Plastik "Der Schreitende" von Otto Süßbauer. "Ist halt jetzt ein Gestürzter", sagt der Mooseuracher Bildhauer lachend. Denn die Gipsform seines Kunstwerks, das eines Tages übermannshoch die neue Geretsrieder Stadtmitte schmücken soll, lagert im Hof der Kunstgießerei Kirchner in Ascholding auf der Seite liegend. Reizvoll, so oder so. Dieser wunderbar leichte Schwung, diese totale Abstraktion, die noch im Liegen eine Assoziation von Bewegung weckt.
Leicht? Nicola Kirchner sagt: "Das Ding sieht so simpel aus, aber . . ." Bei der Vorbereitung des Bronze-Gusses hat sie doch die ein oder andere Herausforderung entdeckt. Etwa dass das schwingende Teil, dessen eine Seite nach hinten, die andere nach vorn geht, sich beinahe hinterschneidet - was durchaus zu Spannungen führen könnte. Kein Problem allerdings für eine erfahrene Gießerei.
Nicola Kirchner leitet zusammen mit Karl-Heinz Schnappinger die Kunst-Gießerei, die wiederum selbst auf einen Künstler zurückgeht: den 1984 verstorbenen Bildhauer Heinrich Kirchner, dessen Werke in Museen und im öffentlichen Raum von Hannover bis zum Chiemsee zu sehen sind. Und Otto Süßbauer hat bei Kirchners das Handwerk des Bronzegießens gelernt und hier zehn Jahre lang gearbeitet. Er kennt die Abläufe und Anforderungen.
Action in der Ascholdinger Kunstgießerei: Wenn die Bronze um die 1200 Grad hat, wird sie gegossen.
Damit alles klappt, wird vorher die Temperatur der Bronze im Ofen geprüft, wie Karl-Heinz Schnappinger es hier tut.
Glühend heiß holen die Kollegen den Tiegel heraus, sobald die Temperatur stimmt.
Die flüssige Bronze fließt in die Form.
Herauskommen wird ein Kunstwerk von Otto Süßbauer. Im Hof der Gießerei sitzt er neben der Gipsform...
...seines "Schreitenden". Ursprünglich hatte er es als handliche Plastik geschaffen.
Nicola Kirchner vor dem Klotz aus Schamotte, in dem die Bronzeform später auskühlen wird.
Anschließend wird die Skulptur unter einigem Kraftaufwand aus dem Klotz herausgelöst. Das ist eine äußerst staubige Angelegenheit.
Für den Guss seines 2,10 Meter hohen Schreitenden, der ursprünglich in handlicher Kleinversion als Kunstpreis der Stadt Geretsried diente, hat er die Gipsform selbst kreiert: "Innen ein Eisenskelett, Styropor als innerer Kern, außen Gips." Das Skelett sei "a diffizile Gschicht" gewesen: "Den Schwung hinzukriegen - da war ich schon gefordert", sagt Süßbauer. Zwei Monate habe die Form ihn beansprucht. Der Schreitende sei die größte Plastik, die er bisher geschaffen habe.
Man kennt von Süßbauer vor allem große Kugeln - oft mit 80 Zentimeter, manchmal auch 160 Zentimetern Durchmesser - in vielerlei Gestalt: aus Besteck wie vor dem Königsdorfer Rathaus, aus Münzen, Korken, Nägeln . . . Und man hat seine karikaturistischen Bronze-Arbeiten vor Augen, den Kasperl-Grafen Pocci vor der Münsinger Schule oder köstliche Kleinigkeiten wie die wörtlich genommenen "Plaudertaschen".
Die Gießerei hat Süßbauers Schreitenden in vier Teile zerlegt, und als Nicola Kirchner sagt, "die Füßchen" seien schon fertig, schmunzelt der Bildhauer über den niedlichen Begriff. Tatsächlich liegen draußen im Hof in einer Schubkarre zwei Bronzestücke, die sich dem Fachmann schnell als jene Teile zu erkennen geben, auf denen der Schreitende vorankommt. Der Laie muss sich da erst einmal einiges wegdenken, denn an der eigentlichen Bronze sind noch die Gusskanäle, die später entfernt werden.
Holz-, Gips-, Ton- oder Steinmodell, Silikon-Negativform, Wachspositiv, aufklappbare Hohlform, Montage der Eingusskanäle, Einfüllen der Kernmasse, zum Beispiel Gipsschamotte, Ausschmelzen des Wachses und Brennen der Form - Nicola Kirchner erklärt alle Arbeitsschritte bis zum Bronzeguss. Am Dienstag ist bei Kirchner das Oberteil des Schreitenden dran. Der Klotz, in den die Form mit mächtigem Druck vieler Schraubzwingen gepresst ist, steht bereit. Draußen hat sich der Himmel noch nicht entschlossen, ob er sich bewölkt oder aufklart, es ist durchaus frisch; drinnen ist es rund um den Ofen kuschelig warm. Die Bronze wird erhitzt. 1100 bis 1200 Grad muss sie für den Guss haben. "Nicht mehr lange", sagt Schnappinger, "ein paar Minuten." Woher es das weiß? Er sieht es an der Farbe. Es müsse "ein bestimmter Orangeton" sein.
Plötzlich Stille. Der Schmelzofen ist aus. Nicola Kirchner sagt knapp: "Es geht los." Eingespielte Handgriffe. Sie lenkt die Apparaturen per Fernbedienung, Schnappinger und Josefine Lehner hieven den Tiegel aus dem Ofen, hoch über den Klotz, nur wenige Worte fallen, "etwas höher", und zügig ergießt sich die glühend gelb-orangefarbene Masse. Die Hitze strahlt rundum. Zwei, drei Minuten vielleicht, man vergisst ob der Ehrfurcht vor dieser harten Präzisionsarbeit, auf die Uhr zu schauen. Fertig. Otto Süßbauer kommt aus der Ecke, in der er den Vorgang beobachtet hat. Bald wird der Schreitende fertig sein. Dann fehlt nur noch eins: der Platz, an dem er stehen soll. Der wird gerade umgebaut.