Kulturfestival Pipapo:Magische Momente

Lesezeit: 2 min

Marc Haller alias Erwin bringt viele Kunststücke und komische Einlagen auf die Bühne. Ganz am Ende gelingt ihm sogar eine freundliche Geisterbeschwörung. (Foto: Hartmut Pöstges)

Erwin aus der Schweiz reißt das Publikum im "Hinterhalt" zu langen Begeisterungsstürmen hin. Denn er zaubert nicht einfach, sondern ist dabei auch ein Komödiant.

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Der Tisch schwebt davon wie ein Luftballon. Er würde sich wohl geradewegs verabschieden, hielte Erwin ihn nicht am Tischtuch fest. Zu feinen Klavierklängen, die den Tanz mit dem Tisch begleiten, schwebt das Holzmöbelstück nach hier und nach da; fast droht es Erwin zu entgleiten - landet aber doch wieder sanft auf der Bühne der Kulturbühne "Hinterhalt" in Gelting. 60 Zuschauer feiern den Zauberer aus der Schweiz mit Applaus, am liebsten würden sie ihn gar nicht mehr nach Hause fahren lassen: Als die Show nach 22 Uhr endet, das Hinterhalt-Personal das Licht im Saal einschaltet und im Hintergrund schon Popmusik spielt, trampelt, juchzt und klatscht das Publikum noch immer, lässt Erwin wieder und wieder zur Verbeugung auf die Bühne kommen.

Erwin ist das alter Ego von Marc Haller, der für seinen Auftritt aus der Schweiz angereist ist. Das Flugzeug, erzählt er, musste 19 Zwischenstopps einlegen, einmal, um nach dem Weg zu fragen. Doch irgendwie hat er es trotzdem geschafft, und so tritt am Samstagabend ein schmaler, schüchtern wirkender Mann auf die Bühne. Er trägt Hochwasserhosen, knallrote Strümpfe, Halbschuhe eine schwarze Fliege sowie eine riesige Hornbrille.

Erst bringt er eine ganze Weile kein Wort heraus - immer wieder öffnet sich sein Mund, erwartungsvolles Lauschen, doch nichts. Dann sagt er: "Ich danke Ihnen für den Begrüßungsapplaus. Sie wissen ja, man sagt, der Applaus ist das Brot des Künstlers. Jetzt wissen Sie auch, warum ich so dünn bin." Sehr groß ist er auch nicht - weil sein Großvater immer gesagt habe, wenn er groß sei, müsse er arbeiten.

Erwin zieht einen Zauberwürfel hervor, wirft ihn hoch, und als er ihn wieder auffängt, sind alle seine Farben sortiert. Am Flughafen habe man ihm das Ding schon abnehmen wollen. "Die dachten, das wäre eine Handgranate", sagt er und steckt den Würfel in seinen Lederkoffer. Ein Knall, rotes Licht - der Würfel ist explodiert.

Haller erweist sich als Multitalent. Er ist sowohl ein Zauberer als auch ein Komödiant - im fliegenden Wechsel. Die Zauberkunststücke, die er zeigt, sind einem nicht fremd: Er errät Karten, verschluckt einen sehr langen Schlauchluftballon und liest auch mal Gedanken - Dinge, die jeder Illusionist in seine Shows einbaut. Aber Erwin tut es auf eine herrlich selbstironische Art. Einen Mann lässt er die Augen schließen um ihm einen Gedanken zu schicken. Zur Sicherheit schreibt er diesen vorher mit verdeckt mit großen Buchstaben auf. Nach der Übertragung fragt Erwin den Mann, ob er einen Gedanken empfangen habe. "Nein", sagt der Gast. Erwin dreht seine Notiz um - auf dieser steht tatsächlich "Nein".

Es sind vor allem die komödiantischen Einlagen, die den Abend verzaubern. "Es gibt Menschen, die hatten eine sehr schwierige Kindheit", sagt Erwin, "und bei manchen wurde die Schaukel einfach nur zu nah an der Hausmauer gebaut." Von Zeit zu Zeit erzählt Erwin von seinem Großvater, der manchen klugen Satz auf Lager hatte, aber auch Flachwitze wie den, dass Frauen wie Handgranaten seien: "Wenn man den Ring zieht, ist das Haus weg."

Am Ende des Abends nimmt die Geschichte vom Großvater eine unerwartete Wendung, denn das Publikum erfährt: Erwins Mentor ist bereits tot. Nach einigen Sekunden des Schweigens, hängt Erwin Mantel und Hut des Großvaters an einen Ständer und beginnt den Stoff zu bürsten. Dabei gleitet sein Arm in einen Ärmel und wird zum Arm seines Opas, der ihm die Fliege richtet und die Bürste entreißt, um seinerseits den schusseligen Erwin zu bearbeiten. Das wirkt, als hätte sich der Arm tatsächlich verselbständigt. Für einen Moment können ihn alle sehen, den Geist des Großvaters. Und das ist nun wirklich magisch.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: