Kultur in Wolfratshausen:Dramatik im Miniaturformat

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Fragile Kontrahenten: Jörg Baesecke spielt die Geschichte vom "Löffelwirt". Auf der Wiese in der schwarzen Holzkisten suchen zwei Männer einen Schatz. (Foto: Hartmut Pöstges)

Auf der "kleinsten Bühne der Welt" spielt Jörg Baesecke mit seinem Programm "StadtTorHeiten" drei kleine Sagen aus dem alten München. In seinem Repertoire hat er Tusche-Zeichnungen, bewegliche Scherenschnitte und Silhouettenfiguren

Von Nils Hannes Klotz, Wolfratshausen

Ein kleiner schwarzer Holzkasten, etwa eine Armlänge breit, erstrahlt im Licht eines Scheinwerfers. Daneben steht ein Mann. Auf seinem Kopf trägt er einen dunklen Hut ohne Krempe. Eine kleine Pinzette hängt in seiner Jackentasche. In seinen Händen bewegt er eine engelsförmige Klingel, deren heller Klang den kleinen Gemeindesaal von Sankt Michael in Wolfratshausen durchdringt.

Die schwarze Box, um die sich an diesem Montagnachmittag gut 20 Bürger halbkreisartig versammelt haben, bezeichnet Jörg Baesecke gerne als "die kleinste Bühne der Welt". Im Rahmen der Reihe "Begegnungen - Ein Nachmittag für alle", die Pfarrer Florian Gruber einmal im Monat in der evangelischen Gemeinde anbietet, spielt Baesecke mit seinem Papiertheater drei Kurzgeschichten. "StadtTorHeiten" nennt der Künstler sein Programm, das sich aus überlieferten Sagen des alten Münchens zusammensetzt. Sehr genau achtet Baesecke zu Beginn der Vorstellung darauf, dass alle Zuschauer eine gute Sicht auf die kleine Bühne haben. Man müsse sich das vorstellen wie bei einem kleinen Fernseher, sagt er. Der Blickwinkel müsse stimmen.

Nach dem dritten Klingeln öffnet er sein Papiertheater. "Der Löffelwirt vom Alten Peter" heißt die erste Sage. Baesecke führt seine Gäste in die Geschichte ein. Sie spielt vor ungefähr 500 Jahren im alten München. Locker und natürlich beginnt Baesecke zu erzählen - fast so, als wäre er damals selbst dabei gewesen. Mal legt er seinen Arm entspannt neben den kleinen Kasten, mal gestikuliert er wild mit den Händen in der Luft. Mit seiner Pinzette, die er wie beiläufig aus seiner Hemdtasche nimmt, schiebt er zudem magnetisch haftende Papierfiguren auf der kleinen Bühne hin und her. Die Sage handelt von dem geizigen Ruprecht, genannt Löffelwirt, und dem verschwenderischen Achzenit, der sein ganzes Geld in Wirtshäusern vertrinkt. Der Ruprecht sei so ein Geizhals, erzählt Baesecke, dass er jeden Tag mit einem Löffel das kostenlose Wasser aus dem Brunnen beim Alten Peter trinke.

Achzenit und Ruprecht haben nicht viel füreinander übrig und verhöhnen sich gegenseitig. Eines Tages will Herzog Siegmund dem Achzenit eine Wiese abkaufen. Da Herzog Siegmund bekannt dafür ist, Schätze aufzuspüren, wird auch der Ruprecht auf die Wiese aufmerksam und kauft sie dem Achzenit schließlich für teures Geld ab. Der Achzenit vertrinkt das Geld. Ruprecht hingegen macht sich daran, den Schatz zu suchen und gräbt die gesamte Wiese um. Fündig wird er nicht. Die folgende von Ruprecht angezettelte Schlägerei ahndet Herzog Siegmund mit einer halben Stunde "Schandesel", den die Bürger mit allerlei Abfällen bewerfen dürfen. Die gleiche Strafe bekommt auch der Achzenit, weil er, wie der Herzog sagt, behauptet habe, dass auf der Wiese ein Schatz vergraben sei.

Bis zum Zweiten Weltkrieg habe sich ein Brunnen am Petersplatz nach dieser Sage "Löffelwirt" genannt, erklärt Baesecke den Zuschauern, die gebannt seiner Erzählung gefolgt sind. Die beiden anderen Sagen, die er ausgewählt hat, handeln von der großen Pest in München im Jahre 1517 und vom strengen Herzog Ludwig, der im Jahr 1283 von seinem Bruder einen lebenden Affen geschenkt bekommen hat.

Baesecke schafft es mit seiner leidenschaftlichen Erzählart, die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Er flüstert, hebt und senkt die Stimme. Er brummt Melodien und reißt seine Augen weit auf. Gleichzeitig haucht er den Protagonisten seiner Papierbühne Leben ein. Er nutzt seine Pinzette, zieht ganze Blätter aus der Box, um das Bühnenbild zu ändern, oder pustet an einem Mobile hängende Figuren an, so dass diese zu tanzen beginnen. Das Publikum interagiert und vollendet manchmal einen Satz des Geschichtenerzählers.

Insgesamt 120 kleine Stücke habe er in seinem Repertoire, erzählt Baesecke. Er spielt privat, in Schulklassen aber auch bei Abendvorstellungen. Studiert hat er Jura, doch bereits vor seinem Referendariat habe er politisches Straßentheater gespielt. Etwas später habe er begonnen, zusammen mit seiner Frau aufzutreten. Er habe eine "Streubegabung", sagt Baesecke von sich. Er könne schauspielern, etwas zeichnen und feine Figuren schneiden. Mit seiner kleinen Bühne bringt er alle diese Begabungen vortrefflich zusammen.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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