Kriminalität:Das lange Leid der Opfer

Lesezeit: 2 min

Der Weiße Ring betreut 100 Menschen im Kreis - zehnmal mehr als noch vor wenigen Jahren.

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Nach spektakulären Fällen wie dem Raubmord in Höfen bei Königsdorf mit zwei Toten und einer Schwerverletzten konzentriert sich die Aufmerksamkeit zunächst auf die Täter. Die Auswirkungen solcher Straftaten auf Opfer und Nachbarn geraten allzu leicht in den Hintergrund - dabei können die Folgen noch Jahre danach spürbar sein.

Gerade für sie setzt sich die ehrenamtliche Opferhilfe-Vereinigung "Weißer Ring" ein. Im vergangenen Jahr hat die Außenstelle im Tölzer Landkreis knapp 100 Opfer von Straftaten bei mehr als 80 Fällen unterstützt. Heutzutage werden zehnmal mehr Hilfesuchende betreut als noch vor 15 Jahren, wie die Vorsitzende Helgard van Hüllen berichtet. Aus Höfen habe sich aber noch niemand beim Weißen Ring gemeldet. "Da ist der Trubel aber noch zu groß."

Es liegt wohl mehr an der gestiegenen Aufmerksamkeit für das Thema, denn an einer höheren Kriminalitätsrate, die ist im Landkreis vergleichsweise niedrig, dass die Zahl der betreuten Opfer zugenommen hat. Denn vermehrt verweisen Polizei, Therapeuten und Ärzte Betroffene an den Weißen Ring. Seit August können Opfer über eine anonyme, zentrale Online-Beratung Kontakt aufnehmen, werden darüber an die Außenstellen verwiesen. "Dadurch erreichen wir andere Opfergruppen, etwa Männer, die Gewalt erfahren haben", sagt van Hüllen. Denn als Vertreter des körperlich stärkeren Geschlechts schämten sich diese oft, sofort persönlichen Kontakt mit einem ehrenamtlichen Mitarbeiter aufzunehmen.

Hilfesuchenden gibt der Weiße Ring menschlichen Beistand und Unterstützung beim Kontakt mit Behörden. Die Mitarbeiter begleiten Opfer von Straftaten auch zu Gerichtsterminen. Oder sie stellen Schecks für eine psychologische oder anwaltliche Erstberatung sowie gerichtsmedizinische Begutachtungen aus. Wie Sylvia Hartmann, Ehrenamtliche beim Weißen Ring aus Geretsried sagt, meldeten sich auch mehr Menschen nach Internet-Betrügereien oder in Fällen von Stalking, so wie etwa Britta B. (Name geändert).

Der Ehemann prügelte die Frau und Mutter jahrelang. Selbst nachdem sie mit ihren Kindern ausgezogen und die Scheidung eingereicht hatte, bedrohte er sie massiv am Telefon. Erst fast ein Jahr später kontaktierte sie den Weißen Ring. "Ich habe mich nicht mehr so alleine gefühlt. Es war jemand da, der einem geglaubt hat", sagte sie. Die Opfervereinigung habe ihr auch Geld für eine Kurzreise gegeben, um Abstand gewinnen zu können.

Die meisten suchen nach sexuellem Missbrauch Hilfe beim Weißen Ring im Landkreis. Sie machen 18 Prozent aller Fälle aus, gefolgt von Körperverletzungsdelikten und häuslicher Gewalt mit jeweils 14 Prozent. Vergewaltigungen und Betrug, auch im Internet, machen jeweils zehn Prozent aller betreuten Fälle aus. Stalking schlägt mit acht Prozent zu Buche.

Wie van Hüllen betont, sei es wichtig, dass sich die Opfer so früh wie möglich helfen ließen, ohne sofort Strafanzeige stellen zu müssen. "Wir wollen erreichen, dass die Opfer nach einem solchen Erlebnis wieder nach vorne schauen können, wieder gut damit leben können", sagt sie.

Zum Tag der Kriminalitätsopfer an diesem Mittwoch beklagt van Hüllen allerdings noch immer die mangelnde Sensibilität mancher Behörden- und Gerichtsvertreter sowie von Einsatzkräften wie etwa der Polizei. "Da wird blutverschmierte Kleidung einfach ohne Erklärung übergeben", sagt sie. Deswegen habe der Weiße Ring eine Akademie für Aus- und Weiterbildung etwa in psychologischer Hinsicht eingerichtet und zusätzlich für Berufsgruppen geöffnet, die Kontakt zu Kriminalitätsopfern hätten.

Im Landkreis kümmern sich zehn Ehrenamtliche um Opfer von Kriminalität und Gewalt. Die Außenstelle ist unter der Telefonnummer 0151/ 55 16 46 39 zu erreichen.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: