Konzertrezension:Bach beruhigt

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Bach für die Barockkirche: Peter Clemente, Nicole Heartseeker, Janine Schöllhorn, Paul Ottmann und Philipp Stubenrauch (v.li.) beim Konzert. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Ensemble Clemente glänzt beim Benefizkonzert für die sanierungsbedürftige Martinskirche in Dietramszell

Von Sabine Näher, Dietramszell

Auch Klassikliebhaber sind politisch interessierte Menschen. Und so wird am frühen Sonntagabend kurz nach achtzehn Uhr so manches Smartphone aus der Jacke gezogen, um mal eben die ersten Hochrechnungen aus Nordrhein-Westfalen zu checken. "CDU vorne?! Darf ich rasch noch fragen, was die FDP..." Und dann betreten die Musiker den Altarraum der voll besetzten Dietramszeller Klosterkirche. Und nun hat Bach das Wort.

Das Ensemble Clemente (Peter Clemente, Violine, Janine Schöllhorn, Flöte, Hans-Paul Ottmann als Gast am Violoncello, Philipp Stubenrauch, Kontrabass, Nicole Heartseeker, Cembalo) haben ausschließlich Triosonaten des Leipziger Meisters im Gepäck. Wieso Triosonaten, wenn fünf Musiker auf dem Podium sitzen? Ganz einfach: Weil Cello, Kontrabass und Cembalo gemeinsam den Part des Basso continuo bestreiten, während Geige und Flöte die gleichrangigen Oberstimmen darstellen. Der fortlaufende Bass, auch Generalbass, bildet das harmonische Gerüst der Barockmusik. Diese tiefste Stimme ist meist nur ansatzweise notiert, weil die damit vertrauten Musiker wissen, wie sie im Einzelnen, und zwar in Entsprechung zu den oberen Stimmen, auszugestalten ist. Beziehungsweise haben das die damaligen Musiker gewusst - und heute haben die Spezialisten der historischen Aufführungspraxis dieses Wissen wiederbelebt. Für alle anderen gibt es Notenausgaben mit Vorschlägen zur Gestaltung. Dann spricht man vom ausgesetzten Generalbass. Auch die Besetzung dieser Stimme ist variabel: Orgel, Cembalo, Spinett, Laute, Theorbe, dazu Bassinstrumente wie Violoncello, Viola da gamba, Fagott, Serpent, Bassdulzian oder Violone kommen in Frage. Die in Dietramszell zu erlebende Variante mit Cembalo, Cello und Kontrabass ist die traditionell meist gewählte.

Die Triosonate BWV 1037 macht den Anfang. Ein warmer Flötenton überstrahlt den Klang im Adagio; die virtuose Geige nimmt sich angenehm zurück, dazu ein satter Continuo-Sound. Im Alla breve gibt die Geige den Charakter vor: sehr bewegt, doch unter völliger Kontrolle. Cello und Kontrabass lassen das Cembalo hier ein wenig untergehen; die Balance stimmt nicht immer. Sehr transparent, absolut durchhörbar dagegen das Largo, voller graziöser Anmut. Beschwingt vorwärts eilend schießt die Gigue - und trägt den Hörer mit sich fort. Applaus und Abgang der Künstler.

"Die wollen wohl auch wissen, was die neusten Zahlen sagen", wird getuschelt, und erneut kommen etliche Handys zum Vorschein. Aufgeregtes Flüstern allenthalben. "Bach beruhigt!" tönt es da zuversichtlich, während die Musiker erneut aufmarschieren. Die Sonate BWV 1039 folgt. Im ersten Satz teilen sich Flöte und Geige den Part des aufgeregt Erzählenden und des Beschwichtigenden, im zweiten Satz überfunkelt das Cembalo ihren eifrigen Disput. Ein Cello-Pizzicato beherrscht den dritten Satz mit insistierendem Pochen, wie stetig nachfragend, während der Schlusssatz mit einem fröhlich verschlungenen Miteinander die Antwort auf alle Fragen zu geben scheint.

Mit geradezu himmlischer Ruhe, die jeden Stress fahren lässt, eröffnet BWV 1038. Ins pralle Leben zurück führt der tänzerisch ausschwingende zweite Satz. Zart und elegisch gibt sich das Adagio, ehe das Presto mit glitzernden Kaskaden im Cembalo und zart perlenden Flötentönen wie ein erfrischendes Bad anmutet. Aus dem "Musikalischen Opfer" BWV 1079 stammt die letzte Triosonate, die dessen berühmtes Thema im zweiten Satz erst nachdenklich in der Geige, dann mit strahlender Gewissheit in der Flöte und schließlich nachdrücklich bestätigend im Continuo aufscheinen lässt.

Bach beruhigt? Durchaus, aber zum Glück kann er auch anregen und aufwühlen, was zusammen genommen die Katharsis ausmacht. Großer Beifall, aber keine Zugabe. Fast alle Besucher werfen noch einen Blick in die Martinskirche nebenan, der das Benefizkonzert zugute kommen soll. 1718 als Pfarrkirche von Dietramszell erbaut ist sie mit Fresken von Johann Baptist Zimmermann ausgestattet. Die barocke Pracht ist durchaus noch vorhanden, aber akut vom Holzwurm bedroht. Fresken, Stuck und Mauerwerk müssen zudem gründlich gereinigt werden. Weitere Spenden sind willkommen (an Ottmann Property Networks München).

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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