Konzertkritik:Ein barockes Fest

Lesezeit: 3 min

Der "Klangkunst"-Chor feiert sein 15-jähriges Bestehen mit einem großen Telemann-Konzert in Iffeldorf - und bildhaftem, sprechendem Gesang

Von Sabine Näher, IIffeldorf

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Zwar ist die Parksituation immer heikel in Iffeldorf, doch am Sonntagnachmittag treibt die verzweifelte Suche nach einem freien Platz den Blutdruck bedenklich in die Höhe. Das ist allerdings rasch vergessen, sobald einen die erwartungsfrohe Stimmung im vollen Gemeindesaal umfängt: Der Klangkunst-Chor feiert 15-jähriges, der dazu gegründete Verein zehnjähriges Bestehen. Und Andrea Fessmann, die gebürtige Tölzerin, seit vielen Jahren schon so etwas wie der künstlerische Motor Iffeldorfs, die all das auf den Weg gebracht hat, strahlt. Noch mehr als sonst.

Weil der Herr Telemann heuer auch ein Jubiläum feiere, sei sie auf ihn als Komponisten für die Geburtstagsfeier gekommen, erzählt die Sängerin, Chorleiterin und Dirigentin. "Ich habe ihn wirklich unterschätzt", räumt sie freimütig ein. "Beim Recherchieren bin ich auf so viele tolle Werke gestoßen, bei denen man sich fragt, warum die nicht viel bekannter sind." In der Tat hat Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767), seinerzeit ein Star der Musikwelt, unzählige wunderbare Instrumentalwerke, Oratorien und auch Opern geschrieben, die die Zeitgenossen hoch schätzten, die im heutigen Konzertleben aber kaum präsent sind. In Mitteldeutschland sieht das auch dank des Telemann-Zentrums in Magdeburg, dem Geburtsort des Komponisten, etwas besser aus. Dass man ihm auch in Oberbayern die Reverenz erweist, dafür hat Fessmann mit ihrem Chor und dem noch jungen Ensemble Munich Baroque, das auf alten Instrumenten musiziert, am Sonntag den ersten Schritt getan. "Die Tageszeiten", ein Zyklus von vier Solokantaten, die den Morgen, den Mittag, den Abend und die Nacht musikalisch schildern, eröffnet den Reigen. Zu Chor und Orchester treten Judith Spiesser (Sopran), Martina Gmeinder (Alt), Markus Zapp (Tenor), und Andreas Burkhart (Bass) als Solisten hinzu. Sehr sprechend und bildhaft, mit schöner Phrasierung gestaltet Munich Baroque die Orchestereinleitung, ganz dem vom Urvater der Historischen Aufführungspraxis, Nicolaus Harnoncourt, geprägten Motto von der "Musik als Klangrede" verpflichtet. Andrea Fessmann als Sängerin kann damit natürlich viel anfangen und leitet mit sichtlicher Freude die nuancierte Ausgestaltung der jungen Musiker. Telemann hat den einzelnen Tageszeiten je einen vokalen wie instrumentalen Solisten zugeordnet. Den Morgen preisen Sopran und Trompete, mit hellem, frischen Glanz. In der "verschwenderischen Fülle" des Mittags zeigen sich Alt und Gambe ein wenig ermattet, jedoch aufs Angenehmste. Die Abendkühle bringt offensichtlich neue Belebung, wovon der Tenor und die Flöten künden, die zarte Abendwölkchen vorüber segeln lassen. Bass, Oboen und Fagott malen darauf die Farben der Nacht, jedoch mit dunklem Funkeln als nächtliches Fest gestaltet. Jeweils zum Wechsel der Tageszeit hat der Chor seinen Auftritt und präsentiert sich mit Emphase und Sangeslust, sichtlich und hörbar bestens aufgelegt. Vom Mittag zum Abend stimmt er ein neckisch beschwingtes Jauchzen an, am Übergang zur Nacht einen kraftvollen Lobpreis des Schöpfers. So wird dieses Werk einerseits der weltlichen Musik Telemanns zugerechnet, ist aber gleichzeitig ein Lobgesang auf die göttliche Allmacht.

Ganz und gar im Weltlichen ist das folgende Werk, die Kanarienvogel-Kantate, angesiedelt, deren richtiger Titel lautet: "Cantate oder Trauer-Music eines kunsterfahrenen Canarienvogels, als derselbe zum größten Leidwesen seines Herrn Possessoris verstorben." Wer noch nicht wusste, dass es im Barock auch Unterhaltungsmusik reinsten Wassers gab, erfährt dies jetzt. Ein mit schwarzem Schleier verhangener Vogelkäfig wird unter lautem Schluchzen von Tenor und Bass auf die Bühne getragen; Sopran, Alt und der ganze Chor stimmen in das Wehklagen ein. Dann fährt Telemann eine barocke Trauermusik auf, wie sie gewöhnlich zur Beerdigung von Fürsten oder Königen komponiert wird.

Alle Beteiligten machen daraus mit dem größten Vergnügen eine kleine Opernszene. Während die Altistin mit großem sängerischen Gestus trauert, schnäuzt sich die Soprankollegin ins Taschentuch. Als sie zu ihrem Auftritt schreitet, umarmt sie die nunmehr weinende Altistin. Dass das nicht zur Farce wird, verhindert die großartige Musik Telemanns. Der Tenor ruft die Gemeinschaft aller Kanarienvögel auf, um den edlen Gefährten mitzutrauen; der Bassist hebt ein derbes Schimpfen an und verflucht - die Katze, die den kleinen Sänger auf dem Gewissen hat.

Die hierzulande völlig unverständliche plattdeutsche Inschrift auf dem Grabstein hat Fessmann umsichtigerweise zuvor schon übersetzen lassen. Und nach diesem barocken Spaß kommt mit dem Magnificat C-Dur für Soli, Chor und Orchester der gewohnte barocke Glanz zurück, um das Jubiläum gebührend festlich zu beschließen.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: