Konzert in Icking:Die Lizenz zum Schwelgen

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Die "Sinfonietta Isartal" und ihr Dirigent Johannes Zahn machen mit Dvořáks neunter Symphonie deutlich, wie gut sie aufeinander eingespielt sind. Die junge Münchner Pianistin Clara Siegle brilliert mit Edvard Griegs Klavierkonzert

Von Paul Schäufele, Icking

Dieser Anfang bleibt im Ohr: Paukenwirbel, dann Klavierakkorde wie springendes Eis, kalt und hart. Es war der Auftakt zu einem spannungsgeladenen Konzert, das die Sinfonietta Isartal unter Johannes Zahn am Sonntagabend spielte. Den Solopart in Edvard Griegs Klavierkonzert übernahm die junge Münchner Pianistin Clara Siegle.

Auf die pianistischen Kaskaden folgt das orchestrale Hauptthema, rhythmisch streng und zunächst bewusst neutral. Zahn lässt dem Orchester Raum zur Steigerung. Und auch die Solistin macht deutlich, dass nach dem berühmten Anfang erst wieder Spannung geschaffen werden muss - im Entfalten dieser Dramaturgie treffen sich das aus Jungmusikerinnen und -musikern zusammengesetzte Orchester und die noch nicht 20-jährige Pianistin. Dass bei allen Konstruktionsaufgaben die Details nicht aus dem Blick verschwinden, zeigt Siegle bald, etwa bei den mit Vorschlägen versehenen Akkorden der Exposition. Mit bissigem Anschlag erhält diese Stelle witzigen Charakter, ehe nach frechen Dissonanzen und makellos ausgeführten chromatischen Terzläufen endlich skandinavische Landschaften sichtbar werden. Zahn und Siegle versinken jedoch nicht in Freude über romantische Folklore, sondern spielen, ohne sich übertriebene Freiheiten zu nehmen, was dasteht, schnörkellos, aber ausdrucksstark.

Noch erstaunlicher ist nur, welche Klänge Siegle nach der weit ausholenden, virtuos rauschenden Kadenz aus dem Flügel lockt (was bei dem Instrument in der Aula der Ickinger Grundschule eine doppelte Leistung darstellt): brillante Spielfiguren in filigranem Pianissimo und vollgriffige, strahlende Akkorde. Die Sinfonietta steuert die weiche Grundierung im Streichersatz dazu bei. Die Solistin und das Ensemble erleben dabei jeden Harmoniewechsel, jeden Trugschluss gemeinsam.

Die noch nicht 20-jährige Münchner Pianistin Clara Siegle. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im Finale schließlich - einem flotten Spielstück, dem norwegischen Springtanz nachgebildet - zeigt Siegle erneut, dass es ihr keine Mühe bereitet, die rustikalen Dissonanzen ins musikalische Geschehen zu integrieren. Im Gedächtnis bleibt jedoch vor allem die Stelle, an der das gesangliche Thema des Satzes von der Flöte vorbereitet in den Klaviersatz wandert - Siegle übernimmt nicht nur die Melodie, sondern auch die lichte Klangfarbe. Nach dem Ende des Satzes in kraftvollem A-Dur zeigt sie ihre enorme Anschlagskultur erneut in einem lyrischen Zugabestück (Robert Schumann, "Des Abends").

Nicht weniger zupackend gestaltet sich der zweite Teil des Abends. Mit Antonín Dvořáks neunter Symphonie, wegen der (vermutlichen) Anklänge an amerikanische Folklore unter dem Beinamen "Aus der neuen Welt" bekannt, stand ein echter Reißer des symphonischen Repertoires auf dem Programm. Hier wird nicht nur dem Orchester spieltechnisch einiges abverlangt, bei einem so häufig gehörten Werk stellt sich auch immer die Frage: Wie zu einer eigenen Interpretation kommen?

Zwischen dem Dirigenten Johannes Zahn und der Sinfoniettahat sich eine große Nähe entwickelt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Johannes Zahn setzt auf Kontraste und zügige Tempi, was dem mittelgroß besetzten Orchester und der nicht sehr tragfähigen Akustik der Ickinger Aula entgegenkommt. Ein Vorteil dieses Raums ist jedoch die ungewöhnliche Nähe vom Orchester zum Publikum; dadurch werden Details hörbar, die sonst verloren gingen, etwa der Dialog zwischen Horn und Pauke im ersten Satz oder die sorgfältig ausbalancierten "böhmischen" Terzen in den Holzbläsern.

Dass es Zahn bei der Interpretation vor allem auch darauf ankommt, die Partitur vertikal zu verstehen, also Akkorde nicht einfach als mehrere übereinander gestapelte Stimmen zu begreifen, sondern als plastisch formbaren Klang, zeigt sich im von Klassikliebhabern besonders geschätzten zweiten Satz. Über den bemerkenswert sauber intonierten Klangflächen der Blechbläser entfaltet sich das berühmte Englischhorn-Solo, hier, organisch phrasiert und jedes Intervall ausspielend, von ausgesuchter Schönheit. Orchester und Dirigent atmen zusammen, das wird besonders in diesen Momenten klar. Im Laufe der Zusammenarbeit zwischen Johannes Zahn und der Sinfonietta Isartal hat sich eine Vertrautheit entwickelt, eine Kommunikation auf Augenhöhe, immer wieder wechseln Blicke und Lächeln zwischen Dirigent und Musizierenden. Diese Nähe erlaubt es, auch flexibel mit dem Klangkörper umzugehen. Im ruppigen Scherzo kann man sich so gestatten, besonders in den Trio-Teilen das Tempo gelegentlich zu dehnen. Es wäre ja geradezu unmusikalisch, bei den anmutigen Walzermelodien nicht etwas zu verweilen - Zahn und sein Ensemble haben die Lizenz zum Schwelgen.

Das Finale präsentiert das Orchester dann als großen Hymnus; es findet das richtige Maß an Pathos, um dann in eine gewaltige Stretta zu münden. Der so aufgebaute Klangrausch geht unmittelbar über in begeisterten Beifall. Honoriert wird damit nicht nur die Leistung eines Konzertabends. Genauso klar ist, dass die Sinfonietta sich unter Zahn mit jedem Konzert weiterentwickelt hat und inzwischen auf einem Niveau musiziert, das über jenes üblicher Jugendorchester weit hinausgeht.

Die "Sinfonietta Isartal", der Nachwuchs der Musikwerkstatt Jugend, harmonieren in der Interpretation von Griegs Klavierkonzert a-Moll. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der einzige Makel dieses Abends: Dem Wunsch nach einer Orchesterzugabe kam man nicht nach. Das sollte nachgeholt werden.

© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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