Konzert in der Loisachhalle:Herzzerreißend

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Sophia Herbig, 1992 geboren, ist Kulturpreisträgerin des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die junge Violinistin Sophia Herbig zeigt beim Jubiläumskonzert der "Sinfonietta Isartal" technische Perfektion und ein sensibel aufs Ensemble abgestimmtes Spiel

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Der warme, leicht schläfrige Beginn lässt wenig erahnen von den dunklen Grübeleien dieses Konzerts. Johannes Brahms' Violinkonzert bleibt ein Wunderkasten des Repertoires, der immer neu entdeckt werden möchte. Mit spielerischem Schwung und analytischer Schärfe versenken sich die Sinfonietta Isartal unter Simon Edelmann und Sophia Herbig als Solistin in die Tiefen der Partitur und meistern sie bravourös.

Dabei ist dieses "Concert für Violine mit Begleitung des Orchesters", wie es auf dem Titelblatt des Erstdrucks von 1879 heißt, ein merkwürdiges Gebilde, ein Hybrid aus Symphonie und Konzert. Schon die zeitgenössische Kritik hat es gemerkt, als sie vom Konzert nicht für, sondern gegen die Geige gesprochen hat. Und auch in der Loisachhalle ist das am Mittwoch so: Da sitzt ein ziemlich stattliches Orchester auf der Bühne - "Sinfonietta", der diminutive Name wirkt da als leichtes Understatement - und davor muss sich eine einzelne Geige behaupten. Dass das hier so gut funktioniert, liegt an der gemeinsamen Idee, an der Edelmann und Herbig arbeiten. Während der Dirigent, der im vergangenen Jahr seinen Bachelor-Abschluss gemacht hat, mit strukturiert sparsamen Bewegungen das Orchester in Schach hält, gibt die Geigerin mit vollendeter Eleganz den kommentierenden Kontrapunkt.

Herbigs Ton hat nichts Auftrumpfendes, nichts schlechthin Virtuoses, obwohl sie die technischen Vertracktheiten des Konzerts mühelos beherrscht. Ihr sensibel auf das Orchester abgestimmtes Spiel präsentiert sich zupackend, "all'ungherese", wenn der Part solistisches Selbstbewusstsein einfordert, und klingt anschmiegsam und flexibel, wenn die Orchesterharmonie es verlangt. So etwa, wenn nach der teuflisch schweren Kadenz (eine Kreation des Widmungsträgers Joseph Joachim) das Eingangsthema in den höchsten Höhen der Geige erscheint, untermalt von einer sanften Pianissimo-Begleitung. Das ist herzzerreißend, hier kann man sehen, wie es ist, wenn "sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt", wie die Brahms-Freundin Clara Schumann es ausgedrückt hat.

Dass Orchester, Dirigent und Solistin ein symbiotisches Dreieck bilden, zeigt sich vor allem im langsamen zweiten Satz. Die Einleitung dieses Adagios, das liebliche Oboensolo, dient als Basis für die daran anknüpfenden filigranen Figurationen der Violine. Hier gestattet sich Herbig eine Freiheit im Spiel, die ermöglicht wird durch die genaue, ganz natürlich funktionierende Abstimmung mit Edelmann. Die schmerzhaften fis-Moll-Passagen des Satzes wirken wie improvisiert und treffen dadurch umso mehr. Hier nimmt sich das Orchester ganz zurück, um im furiosen Finale mit klanglicher Opulenz zu überwältigen. Solistin und Ensemble regen sich mit Verve und Begeisterung zu immer feurigerem Spiel an, ohne dabei an Prägnanz zu verlieren. Im Gegenteil, Herbigs Präzision in der Artikulation der notorisch diffizilen Doppelgriffe ist bewundernswert und hat jede Sekunde des langen Beifalls verdient.

Mit Robert Schumanns vierter Symphonie hat sich die Sinfonietta Isartal eines der fantasievollsten Orchesterwerke des 19. Jahrhunderts aufs Programm gesetzt. Es ist formal nicht weniger schillernd als das Brahms-Konzert, nur dass sich hier nicht zwei Formen umarmen, sondern die Entfernung von der Symphonie als Formprinzip ausgestellt wird. Im Prinzip sind es noch vier Sätze, aber sie gehen ineinander über; eigentlich haben alle Sätze eigene Themen, aber sie sind eng verwandt. Diesem ganzheitlichen Konzept folgend, machen Edelmann und die jungen Musikerinnen und Musiker aus Schumanns Opus 120 ein romantisch durchglühtes Klangkunstwerk. So erscheint nach der düsteren Einleitung das strenge Moll-Thema überraschend flott. In seiner Entwicklung wird auch immer deutlicher, welchen Spaß das Orchester daran hat, einmal in einem größeren Konzertsaal zu musizieren. Mit dröhnendem Kontrabass und Paukenknall wird der Raumklang ausgenutzt, werden Akzente und Subito-Forte voll ausgespielt.

Mit volksliedhafter Einfachheit bildet der zweite Satz, die "Romanze", den melancholischen Kontrast zu diesem ausgelassenen Musizieren. Allein in den blumigen Intermezzi herrscht Heiterkeit. Schmiss und beinahe aggressiven Witz zeigt das tänzerisch interpretierte Scherzo, das in seiner robusten Fröhlichkeit den Auftakt zum jubelnden Finale bietet, getrennt nur durch ein nebliges Zwischenspiel, aus dem sich in langem Crescendo das Dur-Thema herausschält. Und das kommt dann in der Tat "lebhaft", so die Vortragsbezeichnung, frisch und in atemraubendem Tempo, wobei sich Edelmann mit seinem zurückhaltend organisierenden Dirigat auch hier als Idealbesetzung für dieses besondere Konzert erweist.

Seit 15 Jahren macht der Verein Musikwerkstatt Jugend musikalische Erlebnisse möglich. Wie schön, dass sich im Jubiläumsjahr zeigt, wozu dieses Engagement führen kann: Musik auf hohem Niveau, gespielt von hoch motivierten jungen Instrumentalisten.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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