Konzert in Benediktbeuern:Sakrales Feuer

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Gut dirigiert: Unter Leitung von Felix Koch zeigen der Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer Consort ein großes, liturgisches Drama - vom Introitus bis zur Schluss-Reprise. Das Publikum antwortet in den vollbesetzten Reihen mit viel Applaus. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer Consort überzeugen in Benediktbeuern mit einer Salieri-Erstaufführung und einer Neuinterpretation vom Mozarts Requiem

Von Paul Schäufele, Benediktbeuern

Wir brauchen Fakten, auch in der Musik. Das Klischee von Mozarts unvollendet gebliebenem Requiem, das sich seit dessen Tod gebildet hat, basiert auf Legenden, Anekdoten und Konzertführer-Schwänken. Verbreitet wurde es durch die Verwendung des Stücks in Filmmusiken oder Computerspielen. Einen anderen Ansatz verfolgt Felix Koch. Mit musikwissenschaftlicher Expertise und interpretatorischer Sicherheit präsentieren unter seiner Leitung der Gutenberg-Kammerchor und das Neumeyer Consort eine neue Version des letzten Mozart-Werks, transparent und engagiert, sakral und feurig.

Doch davor spielen die Musikerinnen und Musiker aus Mainz (und Umland) noch ein Werk des Mozart-Zeitgenossen Salieri - auch dessen Person ist nicht frei von legendarischem Dunst. Dabei war Salieri ein hoch angesehener Komponist, dessen Werke wohl viel häufiger im Konzert zu hören wären, hätte die Nachwelt nicht den Mozart-Antipoden aus ihm gemacht. Das "De profundis" von 1815 sei vor zehn Jahren als Autograf in Sankt Petersburg entdeckt worden, so Felix Koch in seiner Begrüßung. Mainzer Forscher haben es dann in modernen Notensatz übertragen. In der Benediktbeurer Klosterbasilika ist diese Vertonung des 130. Psalms in dieser Besetzung (jeweils etwa 30 Instrumentalisten und Sänger) zum ersten Mal zu hören. Dem markanten Thema, dem dissonantenfreudigen Satz und den zahllosen Seufzerfiguren merkt man in ihrer eingängigen Dramatik den Opernkomponisten Salieri an. Mit einem tänzerischen Amen schließt der Satz. Dieser Schluss wäre nur halb so effektvoll, hätte der Gutenberg-Kammerchor nicht die nötige Präzision und klangliche Kontrolle, um dem weiten Hall der Basilika entgegenzuwirken.

Auf diese verspätete Erstaufführung folgt ein Blick in die Werkstatt. Felix Koch führt in die Version des Mozart-Requiems ein, die an diesem Abend erklingt. Das ist nachvollziehbar, schließlich ist von Mozart selbst nicht allzu viel überliefert: neun Seiten in Partitur und 75 Seiten Entwurf. Die am häufigsten aufgeführte Fassung ist die des Mozart-Schülers Süßmayr. Sie wird auch hier gespielt, doch mit einer wichtigen Neuerung. Das Lacrimosa endet mit einer Fuge, die der Mainzer Musikwissenschaftler Birger Petersen nach in den Sechzigerjahren aufgefundenen Skizzen angefertigt hat. Die das Schluss-Amen der Dies-irae-Sequenz ausschmückende Fuge habe er ganz der Architektur des Werks gemäß eingefügt, so der Komponist. Das Werk beginne und ende mit einer Fuge, doch in der Mitte fehle sie bislang. Anhand des Aufbaus der Kyrie-Fuge hat Petersen schließlich seinen Vorschlag ausgeführt.

Doch ehe der neue Teil im Kontext erklingt, muss musikalisch noch einiges geschehen. In langsam fließendem Tempo setzt die kontrapunktisch komplexe Einleitung der Messe ein. Der Sog, den diese Musik unmittelbar ausübt, liegt auch an der Praxis, der sich das Neumeyer Consort unter Koch verschrieben hat. Mit historischen Instrumenten versuchen sie dem originalen Klang des 18. Jahrhunderts nahe zu kommen. Das hört man nach zwei Takten des Introitus, dem einzigen vollständig von Mozart instrumentierten Satz des Werks. Dem dunkel-erdigen Klang der Bassetthörner kann man sich kaum entziehen, genauso wenig dem feinen, durchdringenden Ton der Streicher. Zum wilden Dies-irae-Chor schallen die Blechbläser, in barocker Tradition die Vertonung der Posaunen des Jüngsten Gerichts. Konzertierend kommt das Instrument im folgenden "Tuba mirum" zur Geltung. Der langsame Dur-Satz gibt außerdem Gelegenheit, nacheinander die vier Stimmen der Solisten kennenzulernen: Christian Wagners flexiblen Bass, Fabian Kellys hell-nasalen Tenor, Rebekka Stolz' expressiven Alt und den schlanken Sopran von Chisa Tanigaki. Dieses Quartett ist ein Glücksfall, nicht nur, weil die vier Einzelstimmen ihre Reize haben. In der Kombination mischen sie sich ideal, sich gut ineinander fügend, ohne den Eigencharakter aufzugeben. Das zeigt sich auch im lyrisch zarten Recordare, von dem sich das ungestüme Confutatis abhebt. Und in diesem Satz lässt sich (wie in dieser Interpretation so häufig) zudem hören, welche Vorzüge ein Musizieren auf historischen Instrumenten hat. Das herbe, scharf akzentuierende Blech markiert Peitschenhiebe, bevor die Frauenstimmen, einzig von den säuselnden Violinen als Bass (!) gestützt, mit "voca me" um ihre Abrufung bitten - musikalische Gewalt und quasi körperlose Schönheit im Wechsel. Diese Kunst der Dramaturgie hört man auch nach der beschwingten Petersen-Amen-Fuge des trostlosen Lacrimosa, wenn die Gläubigen sich mit "quam olim Abrahae promisisti" ("wie du es einst Abraham versprochen hast") an den Schöpfer selbst wenden. Das klingt hier nicht nur nach einer Erinnerung, es ist eine Aufforderung.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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