Konzert in Bad Tölz:Leisere Töne zum vogelwuiden Tanzstil

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Kein Hauch von Lippenstift, akustische Gitarre: Im Kurhaus zeigt Ringsgwandl, dass er ein leiserer Poet geworden ist. (Foto: Manfred Neubauer)

Georg Ringsgwandl präsentiert im Kurhaus große neue Songs aus der Welt der kleinen Leute

Von Petra Schneider, Bad Tölz

So ein Nahtoderlebnis kann eine einschneidende Sache sein: Da fährst du mit dem brandneuen Mountainbike an der Kreuth-Alm vorbei, die Straße ein bisschen nass, in die Linkskurve. Und dann, peng, das große schwarze Loch, das Leben nur mehr wie ein Traum. Passiert ist das dem Georg Ringsgwandl. Und dass es ihm bei dem Sturz das Hirn so richtig durchgeschüttelt hat, das sei das beste, was ihm in seinem Alter passieren konnte, erzählt er am Sonntag im ausverkauften Kurhaus. Denn mit dem neuen Medikament vom Psychiater komme er gut klar. "Mir fällt zwar nix mehr ein, aber mir geht's gut."

Ist das nun wieder so eine abgedrehte Ringsgwandl-Geschichte oder eine Bestandsaufnahme? Womöglich eine Hinwendung zum seriösen Songpoeten und eine Abkehr von der schrillen Kunstfigur? Die vogelwuiden Zeiten des 68-Jährigen sind schon länger vorbei, nicht den Hauch eines Lippenstifts hat er am Sonntag aufgelegt. "Ein alter, unscheinbarer Typ aus Süddeutschland", so beschreibt er sich selbst: Hut, Poloshirt und beige Jeans, nach der Pause ein sandfarbener Anzug. Auch die Themen der Texte sind gedeckt: die kleine Welt der kleinen Leute, Liebe und Tod, enttäuschte Träume. Die Milieustudie "Grattler von Minga", oder die Ballade über die "Schokoladenfee". Eine Ode an die "Oberpfalz", wo alles seinen Platz hat, die Männer nett und die Kinder brav sind, die Sommer heiß und die Winter kalt. So schön eng, dass es zum Davonlaufen ist.

Oder das offizielle Lied zum neuen Landesentwicklungsprogramm vom Söder: Bayern wird moderner - Stahlblechhallen, Parkplätze, Tiefgaragen - und bekommt einen neuen Wettbewerb: "Unser Dorf muass schiacher wern." Im Moment seien sie gerade auf einer kleinen Bädertournee, erzählt der Ringsgwandl. Er selbst kommt aus Bad Reichenhall und wisse deshalb "mondäne Kurorte" zu schätzen. Gestern Bad Aibling, heute Bad Tölz. Angesichts islamistischer Anschläge, den "Narrischen in der Türkei", da sei Tölz durchaus eine Urlaubsalternative: Schön im Schlafsack im "aufgelassenen Kurhotel" übernachten.

"Woanders" heißt die aktuelle zwölfte CD, die Ringsgwandl (Gesang, Akustikgitarre, Zither, Keyboard) im vergangenen Frühjahr an sechs Tagen mit Daniel Stelter (Gitarre, Mandoline), Christian Diener (Kontrabass) und Tommy Baldu (Schlagzeug) im Zimmer einer Altbauwohnung aufgenommen hat. Es ist eine grandiose Musik, von einer erstklassigen Band versierter Jazzmusiker. Vor allem Stelter beeindruckt mit seinen Soli: Mal lässt er die Töne schwer tropfen, dann wieder zart flirren oder kraftvoll grooven. Mit dem Kontrabass entwickelt die E-Gitarre einfühlsame musikalische Dialoge oder steigert sich mit dem Schlagzeug zum fiebrigen Funk. Etwa bei "Furchtbar", bei dem Stelter "als erster Musiker der Geschichte" ein Mandolinen-Solo spielt.

Die Musik mit einer Bandbreite zwischen Blues, Funk, Rock und Country ist so mitreißend, dass man höllisch aufpassen muss, um die Texte nicht aus den Augen zu verlieren. Sie sind mal grausam und mal zärtlich, oft melancholisch und manchmal böse. Ein leiserer Poet ist der Ringsgwandl geworden; die wilde Narretei hat nachgelassen und ein bisschen auch die Frechheit. Geblieben ist sein ungewöhnlicher Tanzstil; die weit ausholenden, geschmeidigen Bewegungen, die tiefen Verbeugungen und der reduzierte Tanz. Nach der Pause gibt er doch noch die Diva: Blonde Perücke und Schlapphut auf, die hohe Klaus-Nomi-Stimme an und mit heiligem Ernst eine Litanei auf den neumodischen Selbstreflexions- und Gesundheitswahn angestimmt: "Ich bin verunsichert, irgendetwas stimmt nicht mit meinem Gedärm", singsangt der Ringsgwandl, der seit 23 Jahren seinen Beruf als Kardiologe anderen überlässt. "Ich nehme zu wenig Ballaststoffe auf, ich bin laktoseempfindlich, die Weizensemmel ist mein Feind". Um sich dann durch einen unverzichtbaren Ringsgwandl-Klassiker zu grooven: "Hühnerarsch sei wachsam." Drei Zugaben erklatscht sich das Publikum und hätte gerne noch mehr gehört. "Es war uns eine Ehre und ein Vergnügen", verabschiedet sich Ringsgwandl mit tiefer Verbeugung. Und das war es: ein großes Vergnügen.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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