Königsdorf:Haselnussruten und vereiste Hosenbeine

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Am Dienstag beginnt wieder der Schulalltag. Dass sich der heutzutage deutlich von früher unterscheidet, zeigt eine Ausstellung in Königsdorf. Dort haben sich ehemalige Schüler an an ihre Tage im Klassenzimmer erinnert

Von Claudia Koestler, Königsdorf

So manche Schultüte dürfte bereits gepackt sein, so mancher Schulranzen auch: Am Dienstag startet das Schuljahr 2016/2017 in Bayern. Zwischen dem Schulalltag von heute und dem von einst liegen allerdings Welten. Das veranschaulicht die Sonderausstellung "Schule einst, in Bayern, Königsdorf und Geretsried" im Königsdorfer Heimatmuseum. Und dass Geschichte dann besonders lebendig wird, wenn Menschen ihre persönlichen Erfahrungen teilen, belegte jüngst eine Sonderveranstaltung im Rahmen der Schau. Ihre "Schulgeschichten" aus den 40-er, 50-er und 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts teilten Persönlichkeiten aus Königsdorf und Geretsried dort den Gästen mit: mal kurios, mal erstaunlich, mal erkenntnisreich - für jene, die ihre Schullaufbahn später absolvierten oder jetzt davor stehen, ihre zu beginnen.

Schulwege einst und jetzt

Arthur Zimprich wohnt gleich neben der Königsdorfer Schule und erlebt sie deshalb täglich: die Schlange an Fahrzeugen, mit denen Eltern ihre Kinder heute oft bis vor die Türen der Schule chauffieren. Ganz anders hingegen vor 50 Jahren, als Mitfahrgelegenheiten rar waren. Auch wer weiter entfernt wohnte, legte den Weg zur Schule zu Fuß zurück. Lorenz Gerold zum Beispiel, einst Schüler in der Knabenschule Königsdorf: "Die Kinder sind oft kilometerweit durch meterhohen Schnee gelaufen, und ihre Hosenbeine waren komplett überfroren, wenn sie ankamen", erinnerte er sich. Weil dort der Kohleofen bullerte, schliefen manche Schüler nach diesen Strapazen im mollig warmen Klassenzimmer ein. "Unser Lehrer ließ sie meist schlafen und begann den Unterricht erst, als sie wieder aufgewacht waren", sagte Gerold und lachte.

Mechthild Gerold hingegen wohnte nahe ihres Schulhauses. Doch auch ein kurzer Schulweg hatte seine Tücken: "Die Lehrerin umgab immer ein Schwarm von Kindern, und wer ihre Tasche tragen durfte, war der King", erinnerte sie sich. Diese Ehre aber, erklärte sie seufzend, wurde ihr wegen ihres kurzen Heimwegs nie zuteil.

Werner Sebb hingegen ging nach Kriegsende zunächst in Wolfratshausen, später in Geretsried zur Schule - mit einem Schulranzen aus Pappdeckel. Über sieben Kilometer lang sei der Weg von seinem Zuhause bis zur Loisachstadt gewesen - einfach. Immerhin sei es manchmal möglich gewesen, mit der Werksbahn zu fahren oder mit der sogenannten "Schneckenpost": einem Lastwagen, der zur Hälfte Güter transportierte, zur anderen Hälfte Passagiere.

Die Klassen damals und heute

Königsdorfs Alt-Bürgermeister Alfred Stangler besuchte die sogenannte Zwergschule in Oberbuchen. Mehr als 40 Mädchen und Buben teilten sich dort ein Klassenzimmer, in dem von der 1. bis zur 8. Klasse alle gemeinsam unterrichtet wurden. Auch im Klösterl der Armen Schulschwestern, in dem sich heute die Räume des Heimatmuseums Königsdorf befinden und in dem von 1864 bis 1963 die Königsdorfer Mädchen unterrichtet wurden, waren mehrere Klassen in einem Zimmer untergebracht.

1948 konnte Sebb hingegen endlich in Geretsried in die Schule gehen: Zwei Speisesäle im sogenannten "Gästehaus" waren zu Klassenzimmern umfunktioniert worden. Allerdings mangelte es an Schulmöbeln und an einer Heizung. "Zwischenzeitlich lernten wir an Wirtshaustischen vom Geiger", erinnerte sich Sebb. Geheizt wurde mittels Kachelofen und Holz, das gesammelt wurde. Holz- und Kohleöfen standen auch in den Königsdorfer Schulen. Und bis heute, sagte Arthur Zimprich, sei ihm die Angewohnheit geblieben, stets Holz einzusammeln, wenn er es auf dem Weg sehe.

Disziplin und Bubenstreiche

Die Mädchen seien grundsätzlich sehr brav gewesen, die Buben weniger, sagte Sebb. Seine Klasse etwa habe einmal den Religionslehrer "bis aufs Blut geärgert", und zwar mit Knallerbsen. Zwar habe der noch versucht, mit Hieben von Haselnussstecken für Ruhe zu sorgen. Doch es hatten sich ein paar der Buben im Lastaufzug versteckt. Als sie dort die Knallerbsen zündeten, erlitt der Lehrer einen Nervenzusammenbruch und kehrte nicht wieder zurück.

Andere aber wussten die Rasselbanden zu bändigen: "Bei über 40 Kindern in einem Raum musste natürlich Disziplin herrschen", sagte Stangler. Vor der Oberbuchener Schule gab es zum Beispiel einen Haselnussbusch, aus dem der Lehrer seine Ruten und Tatzenstecken schnitt. Auch wenn es damit ab und an etwas auf die Finger gab - "wir haben es damals immer als gerecht empfunden", sagte Stangler. Körperliche Strafen waren auf dem Lande lange fest verankert: Noch 1947 wurde in der Volksschule Oberbuchen eine Elternbefragung durchgeführt, ob man für oder gegen die körperliche Züchtigung ist. Nur drei von 42 Eltern sprachen sich dagegen aus.

Freizeit, Spiel und Sport

Viel Freizeit blieb den Kindern auch früher nicht: Jede Hand wurde gebraucht, ob zur Heuernte, zum Sammeln von Heilkräutern, zum Kartoffelkäfer-Klauben oder um die Bremsen und Fliegen beim Vieh zu vertreiben. Sportunterricht gab es allerdings auch vor 50 Jahren. Die Königsdorfer Mädchen spielten Ball oder Fangamandl neben dem Friedhof, eine Mooswiese diente den Kindern als Sportplatz.

Die Buben durften im Winter sogar manchmal in Mooseurach Skifahren oder die Sedlmeierstraße mit dem Schlitten hinabsausen. "Allerdings gab es keinen Funk. Also musste unten jemand mit einer großen Stange winken, dass man oben losfahren konnte, und gleichzeitig drückte jemand auf die Uhr", sagte Lorenz Gerold. "Also, auf ein Hundertstel genau ging es da nicht", erzählte er mit einem Schmunzeln.

Ausflüge

In Zweierreihe und Händchen haltend: So gingen die Königsdorfer Buben laut Lorenz Gerold 1955 zu Fuß bis nach Seeshaupt. Dort fuhren sie mit dem Dampfer nach Starnberg, wo es dann mit dem Bus wieder nach Hause ging. Keine geringere Tour unternahmen sie zwei Jahre darauf: Mit dem Rad fuhren sie nach Lenggries, unternahmen eine Bergtour und radelten anderntags über Fall und Kochel wieder zurück. Die Ansage des Lehrers am steilen und kurvenreichen Kesselberg war klar: "Keiner überholt mich", erinnerte sich Lorenz Gerold. Was der Pädagoge aber nicht bedachte: Die Buben warteten so lange, bis ihr Lehrer so weit voraus war, dass sie dennoch den Berg hinabsausen konnten.

Religion

Morgengebete, Schulgebete, Bittgänge: "Religion nahm einen großen Stellenwert ein und war ein selbstverständlicher Teil des Alltags", sagte Mechthild Gerold. Marlies Hieke gar hatte "gefühlt den halben Tag Religionsunterricht", in den Räumen hingen "schwarze Kreuze mit grün-weißem Korpus". Auch nahmen die Schulen geschlossen an Bittgängen teil, allerdings im Königsdorfer Fall mit einer Ausnahme: "Die Buben gingen nie mit nach Beuerberg", weiß Lorenz Gerold. Denn zwischen den beiden Orten herrscht seit Jahrhunderten eine Fehde: Die Königsdorfer gelten als "Schaferer", die Beuerberger als "Ganserer" - und weil sich die Bürger deshalb gegenseitig aufziehen, "hätten die Buben nur eine Rauferei begonnen", so Gerold.

Freiheiten und Lehrmittelfreiheit

Weil die Familien Schulbücher kaufen mussten, waren diese Wertgegenstände. Sie wurden pfleglich behandelt und teilweise Jahrzehnte aufbewahrt, sagte Marlies Hieke. Doch auch wenn gerade die Mädchen früher äußerst brav waren - die Gedanken waren auch bei ihnen frei. Eines Tages ereignete sich in der Kohlenkiste im Klassenzimmer des Klösterls eine Verpuffung, dicke schwarze Rauchwolken stiegen auf. Hieke wurde von der Lehrerin deshalb mit einer Kameradin zum örtlichen Spengler geschickt - "doch wir gingen so langsam wie nur irgend möglich, immer in der Hoffnung, die Schule würde inzwischen abbrennen."

Die Schul-Ausstellung im Königsdorfer Heimatmuseum ist bis Oktober zu sehen, sonntags von 9.30 bis 12 Uhr. Sonderführungen für Schulklassen sind nach Absprache unter Telefon 08179 / 776 möglich.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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