Königsdorf:Aufregende Schubertiade

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Julian Prégardien (2.v.r.) wurde von seinen Musikerkollegen Marc Hantaï (v.l.), Xavier Diaz-Latorre und Philippe Pierlot begleitet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bei Julian Prégardiens Konzert in Königsdorf erhalten alte Lieder ein neues Gesicht

Von Uta Schmidtsdorff, Königsdorf

Eine Schubertiade Anfang des 19. Jahrhunderts - das meint keineswegs schlichte Hausmusik in biedermeierlicher Genügsamkeit, sondern ist Inbegriff einer gemeinschaftlichen Existenzform, in der Künstler unterschiedlicher Ausrichtung und Herkunft in wesensverwandter Geisteshaltung zu einander finden: Im Schutzraum dieses vertrauten Freundeskreises wurden gerade der Feder entsprungene Lieder von Franz Schubert erstmals zum Leben erweckt, Gedichte rezitiert und politische Themen freizügig diskutiert, die, in Zeiten des Metternich-Regimes öffentlich angesprochen, schwerwiegende Repressionen nach sich gezogen hätten.

Einschwingend auf diese ursprüngliche Idee der Schubertiade hatte der weltweit erfolgreiche Tenor Julian Prégardien gemeinsam mit seinen fantastischen Kollegen aus der internationalen Alten-Musik-Szene am Montagabend zu einem ungewöhnlichen Benefizkonzert ins Königsdorfer Rathaus eingeladen. Der Sänger lebt in Königsdorf. Eingebunden in eine sympathische, persönlich gefärbte Moderation präsentierte Prégardien eine kleine Auswahl an Schubert-Liedern gemeinsam mit Gedichtrezitationen, literarischen Schubert-Betrachtungen und Instrumentalmusik des Schubert-Zeitgenossen Wenzel Matiegka.

Tatsächlich ereignete sich an diesem Abend Erstaunliches. Nicht nur schien der historische Geist der Schubertiade Gestalt anzunehmen, auch die vertrauten Schubert-Lieder erhielten ein ungewohnt neues Gesicht. Kein Flügel begleitete den Sänger, stattdessen übernahmen Traversflöte (Marc Hantaï), Gitarre (Xavier Diaz-Latorre) und Baryton-Gambe (Philippe Pierlot) den instrumentalen Part und vier außergewöhnliche Musiker verschmolzen zu einem fein ausbalancierten Kammermusik-Ensemble, das tief in Schuberts Klangwelten eintauchte und dabei Aufregendes zu Tage förderte. Auch heute noch gilt in der klassischen Musikszene die vorgeschriebene Besetzung als weitgehend unantastbar. Den vertrauten Flügel durch eine so ungewöhnliche Instrumentalkombination zu ersetzen brach radikal mit etablierten Hörgewohnheiten.

Doch gerade durch die Auflösung traditioneller Spielweisen gelang es, spezifische Schichten Schubert'scher Geisteshaltung sichtbar zu machen. Die Bereitschaft zu spontanem Musizieren, fern jeglicher Besetzungsfrage, erzeugte eine bewegende Unmittelbarkeit.

Zugänge zu einem unmittelbar natürlichen Musizieren freizulegen, ist Prégardien eine Herzensangelegenheit, die Ausgangspunkt wurde für eine Reihe von Benefizkonzerten, deren Einnahmen dem Projekt "Canto elementar" zu Gute kommen sollen. Rentner werden dabei unterstützt, gemeinsam mit Kindern zu singen. Dass es keines elitären Kunstbetriebs bedarf, um Musik zum Ereignis werden zu lassen, machte die Schubertiade in Königsdorf auf erfrischende Weise deutlich. Gänzlich ohne Star-Allüren plädierten vier ausgezeichnete Musiker für einen freieren, jedoch sehr klug durchdachten Umgang mit kulturellen Heiligtümern. Das begeisterte Publikum, das so zahlreich den kleinen Saal füllte, dass keine Stühle mehr aufzutreiben waren, dankte es ihnen von Herzen.

Auch der interpretatorische Ansatz dieses Abends war ganz neu. Dissonante Reibungen, dramatische Vorhalte und beunruhigende Rhythmik wurden bewusst ausmusiziert. Vibratolose Passagen hoben die Radikalität hervor, die Schuberts Werk innewohnt. So gerieten vertraute Lieder wie "Der Wanderer", "Sah ein Knab' ein Röslein steh'n" oder "Nachtviolen" zu bewegenden dramatischen Skizzen, die deutlich machten, wie sehr Schuberts lyrische Paradiese einer beständigen Bedrohung unterliegen: Schockierend rasch vollzieht sich der Wechsel von Dur nach Moll, stellen scharfe Dissonanzen das soeben heraufbeschworene Idyll infrage und ein tastendes Suchen nach innerer Wahrheit beginnt.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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