Kochel am See:Kunst zum Anhören

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Kinder erweitern den Audio-Guide des Franz-Marc-Museums mit fantasievollen Geschichten. Die "Alpenszene" wird so zur Zukunftsvision und "Hocken im Schnee" zur Birne Helene

Von Andreas Scheuerer, Kochel am See

Sieben Kinder sitzen im Franz-Marc-Museum auf dem Boden vor einem Bild. Sie diskutieren, albern herum und fantasieren: "Makilon? Oder Alaka? Nein wartet, ich hab's, ich hab's: Visio!" So soll der Ort heißen, zu dem sechs der sieben lila Esel auf Franz Marcs "Eselfries" laufen. Die Esel sähen traurig aus, finden die Kinder. Nur einer wirke glücklich, nämlich jener, der in die entgegengesetzte Richtung laufe. Ein Außenseiter? "Muss eine Zicke sein", meint die achtjährige Lena, und die Klassenkameraden stimmen zu. Sie taufen die Gegenläuferin Luna. Vielleicht habe es ja ein Streit zwischen Luna und den sechs Eseln gegeben.

Die Kinder der dritten Klasse der Franz-Marc-Grundschule in Kochel am See stecken mitten in der Arbeit. Sie fertigen einen Kinder-Audio-Guide für das Franz-Marc-Museum an und grübeln jetzt über dem ersten Schritt. Dabei gehe es zunächst darum, die Eindrücke der Schüler zu sammeln, erklärt ihre Lehrerin Sabine Neustifter - der Fantasie seien hier keine Grenzen gesetzt. Sind die Geschichten einmal ausgedacht, spielt Neustifter zusammen mit Stefan Gagelmann, Solopaukist bei den Münchner Philharmonikern, Begleitgeräusche für die Audio-Sequenzen ein. Am Ende geht es in ein Tonstudio, wo die Drittklässler ihre Geschichten zu den Bildern aufnehmen - wie die Profis.

Kinder der örtlichen Grundschule arbeiten an einem Audio-Guide, hier mit Mona Horncastle vor dem Eselsfries von Franz Marc. (Foto: Franz-Marc-Museum/oh)

Professionell klingt auch das Ergebnis, das es zu elf Gemälden im Museum bereits zu hören gibt. Die vertonten Bilder sind mit einem blauen Pferd gekennzeichnet. Eines davon ist August Mackes "Große Promenade" - die Kinder deklarieren es als Tatort im Audio-Guide: Der unbekannte Mann rechts im Bild hat die Katze der nun trauernden Familie von Weber überfahren. Aus Franz Marcs "Alpenszene (Heuhocken)" wird eine Zukunftsvision gestrickt, in der Bergalmen lediglich auf Hochhausdächern existieren. Untermalt sind die Bildgeschichten durch Musik und Toneffekte. Kurze Angaben zu den Künstlern, wie etwa zur Freundschaft zwischen Macke und Marc, runden den Guide ab.

Heute arbeiten die Kinder an drei neuen Gemälden des Expressionisten Marc. Darunter sind das "Kauernde Reh", die "Hocken im Schnee" - dieses Bild haben die Schüler Birne Helene getauft, weil die Hocken ein wenig so aussähen - und eben das "Eselfries". Die 23 Schüler arbeiten in Gruppen an den Kunstwerken und werden von Neustifter und Mona Horncastle, der Verlegerin des Audio-Guides, betreut. Auch Flüchtlingskinder, wie die beiden Afghanen Ilham und Mukhtan, elf und zehn Jahre alt, arbeiten an dem Beitrag zum "Eselfries" mit. Trotz mangelnden Sprachkenntnissen bringen sich die Jungen ein, machen Namensvorschläge für Fantasieorte und schaffen auch dadurch ein multikulturelles Kunsterlebnis für den Hörer: Integration durch Kunst.

Die "Heuhocken im Schnee" sind eines der berühmtesten Gemälde Franz Marcs. (Foto: museum/oh)

Insgesamt ist es die vierte Erweiterung des Audio-Guides. Bereits vor acht Jahren wurde das Projekt ins Leben gerufen und umfasst nunmehr rund 20 Gemälde mit Kommentaren, die von Kindern für Kinder verfasst wurden. "Das Projekt ist eine Innovation", sagt Museumsdirektorin Cathrin Klingsöhr-Leroy. Zusammen mit der Franz-Marc-Grundschule und dem Horncastle Verlag hat sie den über Spenden finanzierten Audioführer für Kinder entwickelt. "Museumspädagogik ist mir sehr wichtig, schließlich ist das Franz-Marc-Museum auch ein Familienmuseum", sagt die Direktorin. Deshalb habe sie besonders darauf geachtet, dass die Kinder keinen "verschulten" Audio-Guide anfertigen, der lediglich trockene Informationen enthält, sondern dass er stattdessen lebendig und fantasievoll wird. Dies ist den Schülern der Franz-Marc-Grundschule gelungen.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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