Kleinkunstabend:Verfranst im Kurviertel

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Toni Fischer steuerte an der E-Zither die passende Musik bei. (Foto: Manfred Neubauer)

Tölzer "Lust" bietet Amüsantes und Historisches zur Leonhardifahrt

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Wenn man als Leonhardi-Fahrer nicht sakrisch aufpasst, kann es schon passieren, dass man im Kurviertel strandet, zumal als allerletzter Wagen. Es ist verständlich, dass man dann nicht mehr herausfindet aus dem fremd gewordenen Viertel, wo das Alpamare und der Jodquellenhof geschlossen wurden. Und wenn dann auch noch die Chantale aus Berlin auf dem Frauenwagen mitfährt, die zwar nicht katholisch, aber vegan ist - dann hilft nur noch ein Schnapserl oder ein Negerkuss. Allerhand konnte man wieder erfahren beim Leonhardi-Kleinkunstabend - über den "Allerletzten Wagen" im umwerfend komischen Einakter, über unterschiedliche Zügelführungen der Gespanne, über japanische Pferdebräuche aus dem "Tokyo-Blog" oder über die Leonhardifahrt, wie sie früher war.

Zum achten Mal fand die Traditionsveranstaltung in der Madlschule statt, wie immer am Abend vor der Pferdewallfahrt. Und was die Lust-Mitglieder heuer auf die Beine gestellt haben, könnte nicht gelungener sein: ein amüsantes Programm, das einen frechen und liebevollen Blick auf die Wallfahrt wirft - mehr Lust an Leonhardi geht nicht. Die Madlschule war restlos ausverkauft, und die Nachfrage so groß, dass man leicht eine zweite Vorstellung vollgebracht hätte - was die Lust-Vorsitzenden Jeanette Stahlberg und Sepp Müller für 2018 erwägen. Für Begeisterung sorgte die wunderbare Musik von Toni Fischer (E-Zither) und Sepp Müller (Schlagwerk). Locker schlugen beide den Bogen vom einfühlsamen Landler über beschwingte Zigeunerpolka bis zu Alice Cooper und Falco.

Beim Kleinkunstabend haben sich in den vergangenen Jahren Traditionen etabliert: So erzählte Ehrenvorsitzender Wiggerl Retzer wieder Interessantes aus der Historie. Im Jahr 1917 musste die Wallfahrt erstmals kriegsbedingt ausfallen. "Der Krieg hat mit klobiger Hand einen uralten Brauch gestört", beklagte der Historische Verein damals. Anders als die kleineren Züge in Benediktbeuern und Lenggries, die auch 1917 stattfanden, sei die Tölzer Leonhardi-Fahrt schon damals ein "Spektakel und Event" gewesen, erzählte Retzer. Deutschlandweit habe man Werbung gemacht, die Eisenbahn setzte bis zu 16 Sonderzüge ein. Redakteur Christoph Schnitzer fasste Erinnerungen der fast 95-jährigen Usch Hueber aus Wackersberg zusammen, die am Sonntag wegen einer Erkältung nicht persönlich kommen konnte: Im Jahr 1929 sei die Usch zum ersten Mal bei der Leonhardi mitgefahren. Jämmerlich gefroren hätten sie und die anderen Mädchen damals, weil die "Mantelkrankheit" noch nicht ausgebrochen war. Schnitzer erklärte den Unterschied zwischen Stoßzügel- und Kreuzzügelfahren, das nicht nur eine Streitfrage unter Fuhrleuten, sondern eine "Ideologie" sei. Eine Frage, über die 1953 sogar im Landtag debattiert wurde. Dass Beamte in Bonn den bayerischen Bauern vorschreiben wollten, wie sie ihre Rösser zu lenken haben, führte zu Verwerfungen. Es nützte nichts: Das Stoßzügelfahren blieb aus Sicherheitsgründen verboten.

Schnitzer freute sich, dass er "zum ersten Mal einen leibhaftigen Fuhrmann" auf der Bühne begrüßen konnte, den Sepp Bichlmair aus Wegscheid. Der erzählte von seinen Kaltblutpferden, der "Schlüsselstelle" am Mauerbräugasteig und der Kunst des Gespannführens. Viel Theorie gab es am Sonntag, und damit das bei den Zuschauern auch richtig verfing, wurde es anschaulich in die Praxis überführt. Dazu brauchte es beim Leonhardi-Abend keine echten Rösser. Menschliches Personal - der Buzi, der Bazi, der Stinker und die Bella - wurden vom Bichlmair Sepp angeschirrt: "Ned mit dem saubern Gschirr, weil des brauch ich für Morgen". Aufgeregt schnaubten die Vier und warfen die Köpfe, dass der Pferdeschwanz von der Bella nur so wippte. Da half nur ein Zuckerl. "Hüa", rief der Sepp. Dann zogen die braven Rösser von der Bühne.

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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