Klavierabend in Ammerland:Kühl, aber expressiv

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Gereifter Virtuose: Der russische Pianist Nikolai Lugansky bei seinem Gastspiel in der Reithalle von Gut Ried in Ammerland. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nikolai Lugansky lotet bei den Holzhauser Musiktagen Werke von Franck, Debussy, Skrjabin und Rachmaninoff aus

Von Paul Schäufele, Münsing

Am Ende steht der Regenschauer, der die schwüle Hitze vertreibt und kühle, frische Luft zurücklässt. Mit "Jardins sous la pluie" von Claude Debussy beendet Nikolai Lugansky seinen Klavierabend in der Reithalle von Gut Ried in Ammerland. Ob der Weltpianist die gleiche Faszination für das Element Wasser hegt wie der französische Impressionist es getan hat, ist nicht bekannt. Und doch ist das Stück mit Bedacht ausgewählt worden, in ihm bündelt sich eine Eigenart seiner Kunst, die alle Interpretationen des Abends miteinander verbindet - ein Klang von kristalliner Schönheit, kühl, aber expressiv.

Daran lässt sich auch erkennen, was für eine erfreuliche Entwicklung Lugansky gemacht hat. Lugansky, der sich zumindest äußerlich seit seinem Sieg beim Tschaikowsky-Wettbewerb 1994 kaum verändert hat, konnte das glänzende Virtuosentum der frühen Jahre umwandeln in eine reife Souveränität, mit der er sein Programm vielschichtig zu interpretieren vermag. Dazu gehört auch die intellektuelle Fähigkeit, Strukturen nachzuvollziehen und Prioritäten zu setzen. So lässt er in César Francks Zyklus "Prélude, choral et fugue" die Akkordarpeggien der ersten Takte schwerelos vorbeiziehen, um die langsam voranschreitende Melodie umso deutlicher, gesanglicher darüber zu legen. Im Mittelsatz, dem Choral, erreicht Lugansky, auch durch den Einsatz des oft vernachlässigten linken Pedals am Flügel, einen komplexen, orgelartig differenzierten Klang, der dem Komponisten, schließlich Titularorganist an der Pariser Kirche Sainte-Clotilde, so vorgeschwebt haben könnte.

Das bedeutet auch, dass manches im Dunkeln bleibt, nicht alles präzise zu hören ist. Lugansky trifft diese Entscheidung bewusst, wählt aus, was wichtig ist in diesem in jeder Hinsicht schwierigen Stück. Besonders in der finalen Fuge wird das klar. Genau den Aufbau nachverfolgend, macht Lugansky die Transformationen, Kombinationen und Verflechtungen des chromatischen Themas zur Grundlage eines Dramas, an dessen Ende ein strahlender Schluss in H-Dur steht.

In weniger strenge Formen gefügt sind die beiden Chopin-Stücke, die den ersten Konzertteil beschließen. Die Barcarolle Fis-Dur ist hier verflüssigter Klang, ruhiges Dahinfließen. Die wenigen drohenden Stellen in Moll nimmt Lugansky mit aristokratischer Zurückhaltung. Diese Subtilität und Zartheit macht aus der Barcarolle ein intimes Konzertstück, die folgende Ballade f-Moll brauchte dagegen einen etwas zupackenderen Gestus. Zwar überwiegen auch hier lyrische Passagen. Unter den Händen dieses Solisten klingen sie wie ferne Erinnerungen an vergangene Tänze und Gesänge. Doch am Ende wird auf schroffe Weise Schluss gemacht mit den zart-melancholischen Linien. Die virtuose Coda ist ein tragischer Abschluss dieser Erzählung und ein Akt der Verzweiflung. Lugansky könnte es sich erlauben, hier zu donnern, hält sich aber nobel zurück, was ins Bild passt, aber dem Stück etwas von seinem Ausdruckspotenzial nimmt.

Nach der Pause, in der sich Zuhörerinnen und Zuhörer die Beine auf dem Sand der akustisch überraschend tragfähigen Reithalle vertreten konnten, setzt Lugansky das Programm mit Alexander Skrjabins dritter Sonate fort, einem Übergangswerk zwischen dem romantischen, noch hörbar von Chopin beeinflussten Stil des russischen Komponisten und dem neuen, experimentellen. Diesen Zwiespalt kann man hier erahnen, etwa wenn auf die auftrumpfende, rhythmisch undurchsichtige Einleitung ein wunderbar lichtes, "scherzando" interpretiertes Seitenthema folgt. Die Stärke der Sonate liegt hier im langsamen Satz. Nach dem etwas langweiligen Scherzo, in dem über harmonische Skurrilitäten hinweggespielt wird, kommt ein Nocturne in düsteren Farben, das schon den späten Skrjabin der Musikmystik durchscheinen lässt. Das Finale ist eine Verfolgungsjagd. Hier gestattet Lugansky es sich zum ersten Mal, die Manschetten abzulegen, so in den Phrasen, die Skrjabin durch harte Akkorde ins Leere laufen lässt. Das überträgt sich auch auf die Körpersprache des Pianisten, der sonst so abgeklärt ruhig, stoisch an seinem Instrument sitzt. Hier reißt er manchmal die Hände von der Tastatur, als stünde sie unter Strom.

Mit einer Auswahl aus Rachmaninoffs beiden Prélude-Sammlungen verabschiedet sich Lugansky. Nicht ohne Grund, denn die Stücke, die er bereits auf CD eingespielt hat, begleiten ihn schon lange. Und sie klingen wie für ihn geschrieben. Rachmaninoff, häufig in süßlichem Espressivo und traurigem Einsamkeits-Pathos ertränkt, erscheint hier als der Klangmagier zwischen Romantik und Moderne, der er ist: weite Kantilenen, aber auch herbe Dissonanzen und rhythmische Wagnisse. Hier findet Lugansky auf bewundernswerte Weise das rechte Maß zwischen Noblesse und Entgrenzung. Eine Kombination, die das Publikum begeistert aufnimmt.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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