Liederabend der anderen Art:Keine Angst vor falschen Tönen

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Julian Oswald beim "Public Singing" im Kleinen Kursaal. Das Lied über das rotnasige Rentier des Weihnachtsmannes wurde zum Auftakt gesungen, und wer den Text nicht wusste, konnte ihn einfach von der Leinwand ablesen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Gut 60 Leute treffen sich im Tölzer Kursaal zum "Volxgesang" mit Julian Oswald. Auf dem Programm stehen amerikanische Weihnachtsklassiker ebenso wie Lieder von Udo Jürgens oder den Beatles. Zweieinhalb Stunden lang sind die Laiensänger mit Begeisterung dabei

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Erwartungsvoll schauen die Leute auf die Bühne des Kursaals, E-Piano und Gitarre stehen bereit. Julian Oswald holt sich noch schnell ein Wasser an der kleinen Bar, ratscht mit ein paar Leuten. Dann geht er auf die Bühne. Er ist der Mann, ohne den am Freitagabend nichts läuft. Denn der 33-Jährige leitet die Sänger beim Volxgesang: Einen Abend lang wird er mit Leuten, die Spaß am Singen haben, richtig Gas geben.

Das Licht wird gedimmt, auf der in sanftes lila getauchten Wand erscheint der Liedtext. Oswald spielt die ersten Akkorde,"Rudolph the Rednosed Reindeer". Das weihnachtliche Schellengeklingel müssen die Leute selbst hervorbringen - mit sacht aneinander gestoßenen Gläsern kein Problem. "A so schee scho", ruft Oswald. "Und jetzt nur die Männer, zwo, drei, vier."

Etwa 60 Leute haben sich zum gemeinschaftlichen Singen eingefunden, mehr Frauen als Männer, und so ziemlich alle Altersgruppen. Sie singen von Anfang an kräftig mit, klatschen oder versuchen sich am "Beatboxing", einer Technik, bei der Silbenfolgen atemberaubend schnell gesungen werden müssen.

Jeder kann, keiner muss. Das Programm ist so breit gefächert, dass für alle etwas dabei sein dürfte: Udo Jürgens ("Liebe ohne Leiden"), die Beatles (Come Together"), Volkslieder ("Das Wandern ist des Müllers Lust"), der "Summertime Blues" oder ein anspruchsvolles Soulstück von Tracy Chapman. Und weil das Motto am Freitag "Scho a bisserl Weihnacht" lautet, geht es natürlich nicht ohne "Winter Wonderland" und "White Christmas".

Viele Sänger sind zum ersten Mal gekommen, weshalb Oswald kurz die Regeln erklärt. Erstens: "Wir sind kein Leistungschor, sondern eine Gemeinschaft, die gerne miteinander singt." Zweitens: "Es gibt kein Zu laut und kein Zu falsch". Falls es Hemmschwellen gibt, sind sie spätestens jetzt überwunden. Das liegt natürlich auch an dem Mann auf der Bühne, der selbst ein klasse Sänger und Musiker ist, und die Leute mit seiner lockeren Art von Anfang an mitreißt. Oswald ist in Gaißach geboren und aufgewachsen und inzwischen Musiklehrer an einem Gymnasium in Pfaffenhofen. Er weiß, wie man Leute zum Singen motivieren kann, ohne gleich den Pädagogen rauszukehren: Er animiert die Sänger zum Improvisieren, macht vor, wie man sich bei kniffligen Passagen einfach durchmogelt und ermutigt sie, aus der Reserve zu kommen. Warum bei "Guantanamera" nicht mal die Hüften kreisen lassen? Oder sich bei der Joe Cocker-Schnulze "Up Where we Belong" einfach in die Arme fallen, "egal ob man sich kennt oder nicht".

Gut, da sind die Leute zurückhaltend, auch getanzt wird nicht exzessiv, man ist zuallererst zum Singen gekommen. Zum dritten Mal macht "Volxgesang" Station in Bad Tölz, und Oswald ist mit der Resonanz zufrieden. Vor zwei Jahren hat sich das derzeit siebenköpfige Team aus Musikern und Musiklehrern in München zusammengetan und veranstaltet seitdem regelmäßig Public Singins im Schlachthof. Die Idee sei ursprünglich in Köln entstanden, erzählt Oswald. Seitdem breitet sich das Mitsing-Virus gen Süden aus und hat inzwischen auch Augsburg, Pfaffenhofen und eben Bad Tölz erreicht. Die Teilnehmer sind meist zwischen 16 und 60, Frauen sind anfälliger, das beobachtet Oswald immer wieder. Aber wenn es die Männer gepackt habe, dann genössen auch sie so einen Abend: Ohne Leistungsdruck und im geschützten Raum einer Gruppe einfach mal drauflos singen.

Norbert Lederer jedenfalls ist begeistert. Schon zum zweiten Mal ist er dabei. Der 57-jährige ist extra aus Wolfratshausen gekommen, weil er die Mitsing-Konzerte "super" findet. "Ich singe falsch, aber gerne", sagt er und lacht. Meist im Auto, aber hier, zusammen mit anderen, mache das viel mehr Spaß. Auch seine Frau Ursula ist begeisterte Volxsängerin. "Das ist so unkompliziert hier", schwärmt sie. Und der Julian, der sei so leger. "Das macht einfach ganz viel Freude." Mit Bierzelt-Gejohle hat das Ganze nichts zu tun, auch wenn natürlich immer beim Mitsingen gilt: Je einfacher die Melodie, desto besser. Im Unterschied zu Karaoke wird die Musik beim Public Singing live gespielt. Ein Vorteil, weil der Musiker auf das Tempo der Leute eingehen und "die Energie an sie weitergeben kann", wie Oswald sagt. Der Schub ist groß, so groß, dass die Sänger nicht genug kriegen können. Erst nach zweieinhalb Stunden und drei Zugaben ist Schluss. Für die Lederers jedenfalls steht schon jetzt fest: Beim nächsten Volxgesang im März sind sie wieder mit dabei.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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