Jazz, Blues, Chansons und Schlager:Wie ein Vulkan

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Julia von Miller girrte, flirtete und sang. Begleitet wurde sie von Robert Probst, Dieter Holesch und Ludwig Leininger (v.r.). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Beim Eröffnungsabend des Theatersommers "Gesellschaft unterm Apfelbaum" in Irschenhausen begeistert das "Julia von Miller Quartett" mit Liedern aus unterschiedlichen Stilrichtungen und Epochen

Von Reinhard Szyszka, Icking

"Genau diesen Abend hatten wir uns vorgestellt!" Barbara Reimold war glücklich. Natürlich hatte sie in ihrem Garten auch ein Zelt aufbauen lassen, um für alle Eventualitäten des Wetters gerüstet zu sein. Doch sein volles Flair entfaltet der Irschenhausener Theatersommer erst an einem lauen Sommerabend, wenn die Künstler auf der Freilichtbühne auftreten. Die grandiose Bergkulisse in der Ferne und die rauschenden Bäume im Vordergrund sind durch keine noch so regenfeste Zeltleinwand zu ersetzen.

Bereits zum siebten Mal macht Reimold ihren Garten für ein paar Wochen der Öffentlichkeit zugänglich. Die "Gesellschaft unterm Apfelbaum" hat wieder hochkarätige Bühnenkünstler eingeladen: Schauspieler, Kabarettisten und Musiker der verschiedensten Sparten. Den Anfang machte am Freitag das Julia von Miller Quartett, bestehend aus einer Sängerin, einem Keyboarder, einem Gitarristen und einem Bassisten. Der Abend stand unter dem Motto "Was ihr wollt". Doch nicht um Shakespeare ging es - gemeint war nur, dass Barbara Reimold den Künstlern freie Hand gelassen hatte, ihr Programm nach Lust und Laune zu gestalten. Um 20 Uhr sollte es losgehen, aber um diese Zeit saßen die meisten Besucher noch gemütlich bei Speis und Trank an den Tischen im anderen Teil des Gartens. Erst ganz allmählich flanierten sie in Richtung Bühne, sodass das Konzert mit zwanzigminütiger Verspätung begann. Doch niemand war in Eile, und alle waren gekommen, den Abend zu genießen.

Julia von Miller ist ein Vulkan. Sie wirbelt über die Bühne, singt und spielt, tänzelt, schnipst mit den Fingern, flirtet mit ihren Instrumentalisten und mit dem Publikum. Jedes Lied wird zum Ereignis. Ihre flexible Stimme reicht mühelos vom oberen Mezzo-Bereich bis in die tiefe Alt-Lage. Sie singt nicht nur, sondern schluchzt, girrt, haucht, schreit und flüstert, wie es gerade erforderlich ist. Am meisten beeindruckt ihre Vielseitigkeit. Ob Jazz, ob Blues, ob französische Chansons oder alte deutsche Schlager der 20er-Jahre: Sie bringt jede musikalische Richtung auf den Punkt. Wenn sie auf die Idee käme, Schubert-Lieder oder Wagner-Opern zu singen, könnte sie vermutlich auch das.

Ihre männlichen Mitstreiter an den Instrumenten stehen ihr in nichts nach. Besonders Robert Probst am Keyboard ist hervorzuheben, der nicht nur virtuos die Tastatur beherrscht, sondern auch selbst über eine beachtliche Gesangsstimme verfügt, die er teils im Duett mit Julia von Miller, teils in einigen Sololiedern zur Geltung brachte. Doch auch Dieter Holesch an der E-Gitarre und Ludwig Leininger am Kontrabass sind Meister ihres Fachs. Die vier Künstler spielen seit vielen Jahren zusammen und verstehen sich blind. Gelegentlich änderte Miller spontan die geplante Reihenfolge der Lieder, sodass die Instrumentalisten erst die richtigen Noten suchen mussten, ehe es weitergehen konnte.

Das Programm erstreckte sich vom "St.-Louis-Blues" aus dem Jahr 1914 bis zu brandaktuellen Stücken von Jamie Cullum. Einen roten Faden gab es nicht, stattdessen wurde munter auf der Zeitachse vor- und zurückgesprungen. "Ihr folgt uns, und wenn das Programm noch so krude ist", meinte Julia von Miller. Viele Lieder besitzen für die Sängerin und ihre Instrumentalisten bereits Klassiker-Status: seit vielen Jahren im Repertoire, immer wieder gerne aufgeführt. Daneben standen einige Neueinstudierungen, erstmalig vor Publikum präsentiert.

Einen, wenn nicht den Höhepunkt des Abends gab es im zweiten Teil mit "deutschem Swing", also Liedern der 20er-Jahre, hauptsächlich aus der Feder von Friedrich Hollaender. Und hier zeigte sich, dass Miller auch hervorragend die damals prominenten Sängerinnen imitieren kann. Der derbe, fast schreiende Kabarettstil von Claire Waldoff, das romantische Schmachten von Zarah Leander, die leicht piepsige Stimme von Lilian Harvey: Wer jemals die alten Aufnahmen gehört hat, glaubte sich in die damalige Zeit versetzt.

Mit dem anrührend-schlichten "Apropos Einsamkeit" nach einem Erich-Kästner-Text und einer kleinen Zugabe ging der mitreißende Abend zu Ende.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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