"Isarsommer" in Geretsried:Häuptling Jetztredi

Lesezeit: 3 min

Willy Michl erzählt der Zweiten Bürgermeisterin Sonja Frank seine Lebensgeschichte. (Foto: stsw)

Bluesmusiker Willy Michl nutzt eine Pressekonferenz in Geretsried für einen denkwürdigen Auftritt

Von Stephanie Schwaderer, Geretsried

Die Mokassins hat Willy Michl zu Hause gelassen. Barfuß steht er auf dem Parkplatz vor dem Geretsrieder Rathaus und hebt unvermittelt an, die Welt zu erklären. Seine Welt. "Wenn die Körpertemperatur unter 32 Grad fällt, bekommt man Kreislaufprobleme", sagt er. Deshalb müsse man die Füße warm halten. Der 70-Jährige mit dem pechschwarzen Haar stützt sich auf seinen Federstab, hebt die rechte nackte Sohle und wärmt sie ein paar Sekunden am gegenüberliegenden Knöchel. An seiner Hüfte über den Leggins baumelt ein Bärentöter, über die linke Schulter hat er ein Fuchsfell drapiert. Da steht er, der "Isarindianer", und blickt stolz über seinen nach Cowboy-Art gebundenen Mundschutz mit Edelweiß-Print. Sonja Frank, Zweite Bürgermeisterin der Stadt Geretsried, blickt zurück und nickt.

Nach diesem Warm-up liegt nur noch eine Hochzeitsgesellschaft zwischen "Sound of Thunder", so sein Indianername, und der geplanten Pressekonferenz im großen Sitzungssaal. Michl schreitet würdevoll durch die Ansammlung von Festgästen, die vor dem Rathaus posieren, wünscht den frisch Vermählten alles Gute und lässt den Hochzeitsfotografen gewähren, der sich fasziniert dem Überraschungsgast zuwendet. "Wir haben Sie gestern im Fernsehen gesehen", sagt eine Frau. "Sound of Thunder" schreitet weiter.

"Feine Frau"

Im Treppenhaus bewundert er die "schönen Steinstufen", dann lässt er sich im Sessel neben dem Bürgermeisterplatz nieder und bedenkt Sonja Frank, die nach einem Platz für seinen Federstecken sucht, mit einem Witz, der in einer Männerrunde sicher großen Anklang finden würde. "Frau Bürgermeisterin, Sie sind eine feine Frau, Sie denken über meinen Stab nach." Außer der lieben Frau Bürgermeisterin sitzen Anita Zwicknagl und Nadine Wickert vom Kulturamt sowie Günter Wagner, künstlerischer Leiter des Kulturherbsts, in der Runde, zudem die Frau des Künstlers, Cora Michl, denn "ein Indianer hat sein Weib immer dabei".

Bevor Frank die Konferenz eröffnen kann, hat Michl den Vorsitz übernommen und gibt einen kurzen Abriss seiner Lebensgeschichte, die er beim Großvater mütterlicherseits beginnen lässt. Weitere Stationen: seine religiöse Enttäuschung bei der Kommunion als Achtjähriger, weil Jesus sich nicht zeigte (tröstender Einwurf von Frank: "Der war scho do!"), die Begeisterung für einen Indianer-Roman und dann der Entschluss in den Achtzigerjahren, "die innere Geisteshaltung durch Kleider nach außen zu tragen", der "Kleingeistigkeit der Gesellschaft" zu trotzen und fortan "in indigener Balance" zu leben.

Eine Atempause an dieser Stelle nutzt Frank dazu, doch noch die Konferenzteilnehmer vorzustellen und kurz den Grund des Treffens zu erläutern. Michl tritt am Donnerstag, 27. August, in der Reihe "Isarsommer" auf. Mit ihr will die Stadt das kulturelle Leben in Covid-19-Zeiten unterstützen. Das Konzert findet im Außenbereich der Ratsstuben statt, bei Regen im Saal. Beginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei, Anmeldung erforderlich.

Dann schöpft "Sound of Thunder" wieder aus dem Vollen. Die Geretsrieder Gäste dürfen sich demnach auf einen Musiker freuen, der die Kunst beherrscht, solo auf einer Hybrid-Gitarre "orchestral" zu spielen, und sich zugleich als Meister des "Talking Blues" empfiehlt. Natürlich werde er Hits wie "Isarflimmern" oder das "Bobfahrer-Lied" zum Besten geben, auch neue Songs und vielleicht ein Stück von Pink Floyd. "Aber ich bin kein lebender Plattenspieler." Wenn ihm ein wichtiger Gedanke in den Sinn komme, "und das kann in jedem Lied passieren", müsse er ihn äußern, ohne dabei das Spiel zu unterbrechen. Sein einziges Ziel sei es, "das Publikum und den Indianer im Herzen zu vereinen; wenn mir das einmal nicht gelingt, dann höre ich auf". Kurzes Schweigen. "Aber das wird nicht passieren!"

Die nächsten Gedanken, die ihm in den Sinn kommen, kreisen um seine Maxime, einander respektvoll zu behandeln - "nicht beurteilen, sondern verstehen" - und führen von Neonazis über den Papst und die Flüchtlingskrise zu Corona-Tests und der potenziellen bayerischen Ministerpräsidentin Ilse Aigner. Fazit nach einer Stunde: Der "Isarindianer" braucht keine Bühne und keine Gitarre für einen Auftritt; wer ihm begegnet, sollte warme Strümpfe mitbringen.

Willy Michl, Donnerstag, 27. August, 19 Uhr, Ratsstuben Geretsried, Eintritt frei, Anmeldung unter Tel. 08171/6 20 17

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: