Intime Atmosphäre:Augen schließen - loslassen

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Sie spielen eine Art Soundtrack zu inneren Bildern: Martin Kälberer und Fany Kammerland. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Klangzauberer Martin Kälberer und Cello-Virtuosin Fany Kammerland spielen im Kurhaus

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Das Kurhaus ist am Donnerstag mit kleinen Tischen und Stühlen bestückt. Die Atmosphäre ist dadurch intimer, der Saal hat Luft und Raum für die Musik von Martin Kälberer. Ein probates Mittel, um nach anstrengenden Tourneen und Produktionen den Kopf frei zu bekommen, seien Auszeiten auf den Shetlandinseln, die auf eine "sehr eigenartige Art berauschend" seien, erzählt er. Dann lasse er sich "leer blasen" vom Wind. Auf einer dieser Reisen habe sich in einer Bucht namens Baltasound ein Klang eingeschlichen, eine Art Soundtrack zu den inneren Bildern. Baltasound - vermutlich ein windumtoster und rauer Ort, auf jeden Fall aber ein schöner Titel für das neue Album. Am Donnerstag stellt Kälberer einige Stücke daraus vor.

Mitgebracht hat er nicht nur seine exotischen Instrumente, sondern auch eine wunderbare Begleiterin: Die Cellistin Fany Kammerland, die auch auf der CD mitwirkt, mit Konstantin Wecker spielt und überhaupt sehr angesagt ist. Zu Recht, wie sie nicht nur in ihrer progressiven Variation über ein Thema von Bach beweist. Sie begleitet Kälberer auf seiner Reise, auch auf jene kleine Shetlandinsel, die nur aus Torf besteht. Dort verschwinden die Grenzen zwischen Wasser und Land, und jeder Schritt federt auf dem weichen Boden. "Peatbog", Torfmoor, heißt das Stück. Geschmeidig und warm und federnd klingt auch das Cello, das Kälberers in die Weite strebende Musik erdet. Nicht nur bei diesem Stück ist der organische Klang des Holzinstruments eine wunderbare Ergänzung. Die metallischen, sphärischen Töne entlockt Kälberer Instrumenten, "die wie Küchengeräte aussehen". Auch eine vasenähnliche Trommel - die afrikanische Udu - gehört dazu, und das Waterphone, das mit dem Bogen gestrichen wird und geisterhafte Töne erzeugt. Vibrandoneon, Keyboard und Loop-Machine sind unentbehrliche Elemente des Kälberschen Klangkosmos'. Seine Musik funktioniert kaum nach Noten; sie ist Rhythmus; weitgespannte Linien und Schichten werden übereinandergelegt und mittels Loop mantraartig wiederholt. Der Klangteppich beginnt zu schweben, die Augen können sich schließen. Loslassen.

Kälberer braucht einen Ort, eine Landschaft, die er in Musik übersetzen kann. Er leide vermutlich an einer besonders schweren Form von Inselsucht, sagt er. Und ob das nun die Shetlands sind oder das sizilianische Gibellina, das er auf dem Album "Morgenland" vertont hat, spielt keine Rolle. Es geht um das Prinzip "Insel" - um die Weite, Offenheit und die Leere, die für Kälberer nicht Einsamkeit bedeutet, sondern Möglichkeit, Neues zu schaffen. Das Stück, das seine Erfahrungen aus dem Norden exemplarisch zusammenfasst, ist "Rich Emptiness": Kammerlander spielt Bass-Ukulele, frisch wie eine kühle Brise legt Kälberer gehauchte, gezischte Laute darüber, die Trommel pulsiert. Das einsetzende Vibrandoneon weckt neue Assoziationen: Eine Kneipen-Situation vielleicht, Menschen und freundliches Treiben.

Kälberers Klangbilder sind das eine, aber natürlich ist der Chiemgauer auch ein famoser Pianist. Und so gibt es am Donnerstag viele Pianostücke am Flügel - träumerische, eingängige Balladen. Virtuose Jazzimprovisationen, welche die Aufmerksamkeit auf die Details lenken, aber nicht überfordern. "Einklang" aus dem Album "Suono" ist so ein Beispiel. Das Konzert im Kurhaus spiegelt die Bandbreite, Kreativität und Könnerschaft Kälberers, der sich auch in seinem neuen Album treu bleibt. Für die Zuhörer, welche die beiden Musiker erst nach zwei Zugaben gehen lassen, habe er ein "analoges Gästebuch" ausgelegt, sagt Kälberer, richtig altmodisch "mit Seiten und einem Stift", weil er lieber handschriftliche Kommentare lesen mag als online. Einige gibt es am Donnerstag: "Faszinierend", hat ein Besucher geschrieben, Dank an den "Klangzauberer" für diese Musik zum Ruhigwerden und Auftanken.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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