Jugendhilfe:Ankommen in einer neuen Welt

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In der Wohngruppe Malala werden drei Mädchen aus Afrika auf ein Leben in Deutschland vorbereitet. Schon einfachste Alltagssituationen können hier zu Herausforderungen werden

Von Felix Matthey, Eurasburg

Ein Gegenstand aus dem Alltag reicht aus, um Erinnerungen auszulösen: Die Mädchen sprechen dann über die Erlebnisse auf ihrer Flucht aus Afrika. "Eine Ananas stand auf dem Tisch und eines der Mädchen erzählte mir, dass sie auf ihrer Flucht durch die Sahara nichts zu trinken, sondern nur eine Ananas dabei hatte", sagt Angelika Schmidbauer. Sie ist stellvertretende Geschäftsführerin der Inselhaus-Kinder- und Jugendhilfe gGmbH und wohnt seit drei Wochen mit drei Mädchen aus Afrika in der Wohngruppe Malala in Eurasburg. Schmidbauer kümmert sich beinahe rund um die Uhr um die drei Teenager, von denen zwei aus Eritrea und eine aus Äthiopien kommen. "Sie haben alle drei am 1. Januar Geburtstag, das trägt die Clearingstelle so ein", sagt Schmidbauer. Die Clearingstelle ist die erste Station der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland. Dort wird zu allererst das Jugendamt informiert, anschließend werden die Umstände der Flucht mit Hilfe eines Dolmetschers geklärt. Dann werden die Jugendlichen vom Gesundheitsamt untersucht. Das Alter der Minderjährigen wird häufig nur geschätzt, ihr genaues Geburtsdatum kennen sie oft selbst nicht.

In der Clearingstelle bleiben die Jugendlichen maximal drei Monate. Die Einrichtung möchte die Teenager erst kennenlernen, ehe darüber entschieden wird, ob sie eine Teilbetreuung oder eine Vollbetreuung erhalten. Das richtet sich in der Regel nach der Schwere des Traumas.

Die drei Mädchen aus der Wohngruppe Malala, die nach der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai benannt wurde, reden nicht viel über ihre Erlebnisse während der Flucht. Schmidbauer, die sich zeitweise sogar einen Arbeitsplatz in der Wohngruppe eingerichtet hatte, um rund um die Uhr bei ihren Schützlingen sein zu können, drängt auch keines der Mädchen, darüber zu sprechen. Ihren Fluchtweg von Afrika haben die drei auf einer Weltkarte skizziert, die in der Wohngruppe an der Wand hängt. Sie lässt erahnen, welche Strapazen die Mädchen auf ihrer langen Reise über sich ergehen lassen mussten.

Angelika Schmidbauer, stellvertretende Inselhaus-Geschäftsführerin, hat die ersten drei Wochen mit den Flüchtlingsmädchen verbracht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erst einmal gleich behandelt. In der weiteren Betreuung wird dann auf die individuellen Erfordernisse eingegangen. Und die sind manchmal ganz alltäglicher Natur: Mit dem Bus fahren, in den Supermarkt gehen und die richtigen Lebensmittel kaufen oder im Badezimmer das Wasser nicht einfach laufen lassen. Viele Dinge müssen die Mädchen aus Afrika neu erlernen. An Motivation hapert es bei den Mädchen aber nicht. "Sie sind wirklich sehr motiviert und möchten ständig Neues dazulernen", betont Schmidbauer. Das gilt auch für den intensiven Deutsch-Förderunterricht, den die drei Afrikanerinnen in einer Übergangsklasse an der Karl-Lederer-Mittelschule in Geretsried erhalten.

Aus der örtlichen Bevölkerung erhielten sie, aber auch die übrigen jungen Flüchtlinge im Jugendheim Inselhaus breite Unterstützung, betont Schmidbauer. "Das ehrenamtliche Engagement ist hervorragend. Die Mädchen bekommen zum Beispiel Ausweise von der Bücherei kostenlos zur Verfügung gestellt, werden aber auch beim Einkaufen oder anderen Aktivitäten begleitet." Gleichzeitig weist die Inselhaus-Sprecherin darauf hin, dass Spenden weiterhin vonnöten sind. "Das Jugendamt ist leider nicht bereit, Fahrten nach München zu bezahlen." Dort gehen die beiden Mädchen aus Eritrea mit zwei weiteren Jungen aus ihrem Heimatland in einen Gottesdienst.

Die Fahrtkosten sind für die Jugendlichen nicht unerheblich. Zwischen 40 und 45 Euro bekommen sie pro Woche als Taschengeld. Und davon legt jede zehn Euro für den Rechtsanwalt zur Seite, den sie im Asylverfahren vielleicht noch brauchen werden. Durch Spenden sollen auch Sachbücher finanziert werden, die die Jugendlichen zum Deutschlernen benötigen. Denn das müssen sie vor allem lernen, um hier ein neues, friedliches Leben beginnen zu können.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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