In der Gruppe:Blick vom Turm

Theaterworkshop Orff

Die Geschcihte spielt im Auge der Beobachter: Laienspieler beim Orff-Workshop im ZUK.

(Foto: Manfred Neubauer)

Workshop zu Carl Orffs "Weihnachtsspiel" im ZUK

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Acht Leute sitzen im Halbkreis und beobachten ein Paar, das sich wie auf einer Bühne aufgebaut hat. Beide haben die Arme auf die Oberschenkel gelegt, den Kopf in die Hand gestützt. Minutenlang und regungslos starren die beiden in die gleiche Richtung, bis Johannes Schindlbeck in die Hände klatscht und das eingefrorene Bild auflöst. "Was habt ihr beobachtet?", fragt der Schauspieler und Mitarbeiter des Orff-Zentrums München in die Runde. "Aber noch nicht bewerten, bloß beschreiben!" Diese Unterscheidung ist gar nicht so leicht. "Sie haben die gleiche Blickrichtung", ist beschreibend. "Sie schauen unbeteiligt", schon wertend. So sortiert Schindlbeck die Antworten seiner Kursteilnehmer, die am Samstag im Zentrum für Umwelt und Kultur (ZUK) des Klosters Benediktbeuern einen Workshop zu Carl Orffs Weihnachtsspiel "Ludus de nato infante mirificus" besuchen.

Die Gruppe ist mit vollem Einsatz bei der Sache. Und Schindlbeck verlangt ihnen nicht wenig ab. Sie sollen aus sich heraus gehen, ohne Berührungsängste (das ist im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinne zu verstehen) agieren, übliche Muster ausblenden und etwas Neues ausprobieren. Für Schauspielstudenten ist das eine tägliche Übung, aber hier haben sich ausnahmslos Laiendarsteller versammelt. Umso erstaunlicher, wie gut es läuft.

Nach etlichen Deutungsversuchen, welche Situation das Paar dargestellt haben könnte, kommt die Auflösung. Ihre Szene entstammt einem Asterix-Band: Zwei alte Dorfbewohner schauen sich mit einer gewissen Langeweile den seit Urzeiten ablaufenden Kampf zwischen den Bewohnern des kleinen gallischen Dorfes und ein paar römischen Legionären an. Die nächste Szene ist schnell erraten: Eine junge Frau sitzt zwischen zwei Männern. Sie hält etwas in den Händen, der links sitzende Mann greift in dieses imaginäre Behältnis hinein, der andere ist an die Schulter der Frau gelehnt eingenickt. "Kino!", schallt es aus der Gruppe der Beobachter.

Aber jetzt geht die Raterei erst richtig los: "Wie stehen die Personen zueinander?", will Schindlbeck wissen. "Kennen sie sich?" Und an die Dreiergruppe ergeht die Aufforderung, die gleiche Szene darzustellen zwischen Unbekannten. Nun holt die junge Frau empört aus, um dem links sitzenden Mann auf die Finger zu schlagen, während der auf der anderen Seite den sozial verträglichen Abstand zur Nachbarin einnimmt. Klar also: Die aus dem ersten Bild kennen sich. Aber in welcher Beziehung stehen sie zueinander? "Eine vertrackte Dreierbeziehung", wird vorgeschlagen. Diese soll nun dargestellt werden. Heimliche Berührungen nach beiden Seiten werden ausgetauscht. "Was signalisiert deine Beinstellung?", fragt Schindlbeck die junge Frau. "Genießt du die Situation oder ist sie dir unangenehm?" Tatsächlich gelingt es, nur über die Position der Beine bei sonst völlig unverändertem Bild eine neue Botschaft auszusenden. Verblüffende Erkenntnisse!

Aber was hat das alles mit Orffs Weihnachtsgeschichte zu tun? "All den Szenen, die wir heute Vormittag erarbeiten, ist gemeinsam, dass der Zuschauer nicht das eigentliche Ereignis sieht, sondern aus der Reaktion der Darsteller auf dieses schließen muss", erklärt Schindlbeck. Dieses dramaturgische Mittel der sogenannten Turm- oder Mauerschau wendet Orff an, indem er nicht die eigentliche Weihnachtsgeschichte erzählt, sondern sie aus dem Blickwinkel von Hexen, die Maria und Josef in ihrer Kristallkugel erblicken, schildert. Eine mehr als ungewöhnliche Herangehensweise!

Doch Orff wollte eben nicht zum hundertsten Male die gewohnten Pfade beschreiten. Ob dieser Kunstgriff im immer noch katholisch geprägten Oberbayern bis heute als zu ketzerisch gilt, sei dahin gestellt. Tatsache ist: Anders als etwa die "Bernauerin" - in der auch eine grandios-grauenvolle Turmschau vorkommt, in der die Ertränkung der Agnes Bernauer in der Donau geschildert wird - wird Orffs "Weihnachtsgeschichte" kaum je aufgeführt. Ein echtes Versäumnis, wie dieser Workshop klarmacht.

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