Konzertereignis in Iffeldorf:Der Krieg ist jetzt da

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Dicht besetzte Reihen auf der Bühne wie im Publikum: Andrea Fessmann, Chor, Orchester und Solisten entfachen im Iffeldorfer Gemeindezentrum Feuer und Furor, beschwören aber auch innige Momente. (Foto: Hartmut Pöstges)

Mal ohrenbetäubend, mal sanft schwebend: Andrea Fessmann und der Klangkunstchor Iffeldorf bringen eine eindringliche Aufführung von Karl Jenkins' Friedensmesse "The Armed Man" auf die Bühne. Imam Benjamin Idriz springt in letzter Minute als Muezzin ein.

Von Paul Schäufele, Iffeldorf

In einem Museum, das der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts gewidmet ist, dürfte Shinji Mikamos Taschenuhr nicht fehlen. Die Zeiger sind zerstört, doch ihr Schatten ist ins Ziffernblatt eingebrannt: 8 Uhr 15, der Moment, in dem eine Atombombe das Zentrum von Hiroshima traf. Im Moment der äußersten Gewalt bleibt die Zeit stehen. Daran war zu denken, als in der Mitte von Karl Jenkins' Friedenskomposition "The Armed Man", unmittelbar vor dem Text eines Hiroshima-Überlebenden, eine unheimliche Stille eintritt. Nach einem schier ohrenbetäubenden Akkord verharren Dirigentin Andrea Fessmann und ihr Iffeldorfer Klangkunst-Chor regungslos. Es ist einer der Momente, in denen die Aktualität von Jenkins' Komposition schmerzlich bewusst wird.

Diese wurde 2000 in London uraufgeführt zum Gedenken an die Opfer des im Jahr zuvor zu Ende gegangenen Kosovokrieges. Darin liegt ein Unterschied zur Aufführung im Iffeldorfer Gemeindezentrum. Denn während 2000 das Werk als Mahnmal wirkte und damit im Kern die Botschaft "Nie wieder!" hinaustrug, hat es heute, da das Töten in der Ukraine andauert, den Charakter eines Einspruchs, aber auch den einer Dokumentation.

Die Eingangsnummer macht das musikalisch wie performativ sinnfällig. Zum Rhythmus der Kleinen Trommel marschiert der Klangkunst-Chor durch den Saal auf die Bühne und umringt dabei die fast vollständig besetzten Stuhlreihen. Der Krieg ist jetzt da, er ist um uns, gegenwärtig auch durch den Gesang, der nun mit engagierten Stimmen einsetzt. Jenkins hat dafür ein französisches Kreuzzugslied des 15. Jahrhunderts übernommen, einen Gassenhauer, der in zahlreichen Bearbeitungen (überraschenderweise vor allem in kunstvollen Mess-Kompositionen) weit verbreitet war: "L'homme armé", ein veritabler Aufrüstungsschlager. Hier wird er zum Auftakt einer Friedensmesse, die einer Kontrastdramaturgie folgt. Das Grauen steht neben der Hoffnung auf Frieden. Das muss musikalisch überzeugend dargestellt werden. Hier gelingt es: Selten hat man den Klangkunst-Chor so präsent gehört, so in der Musik. Das Iffeldorfer Bach-Orchester gibt die passenden Impulse dazu und schürt damit Feuer und Furor der Eingangsnummer.

Darauf folgt normalerweise der Gebetsruf eines Muezzins, um Jenkins' Idee eines Dialogs, der auch die Religionsgrenzen überwindet, zu demonstrieren. Doch wie um die Gleichzeitigkeit der Krisen bewusst zu machen, fiel der eingeplante Ausrufer wegen Krankheit aus, was Chorleiterin Fessmann zehn Minuten vor Konzertbeginn erfuhr. Dass das Konzert nicht ohne den arabischen Ruf zum Gebet auskommen muss, ist allein der spontanen Bereitschaft des Penzberger Imams Benjamin Idriz zu verdanken. So gewinnt der an sich schon bewegende Teil des Werks noch an Dringlichkeit, auf die der Chor mit einem innigen, klanglich homogenen "Kyrie eleison" antwortet. Unterstützt wird das Ensemble hier vom runden, schlackenlosen Sopran Valerie Pfannkuchs.

Spontaner Einsatz: Imam Benjamin ersetzt den erkrankten Muezzin. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das ist schöne Musik, selbst die "Hymn before Action", ein gesungenes Truppengebet, mit dem der britische Dichter Rudyard Kipling für einen verantwortungsvolleren Imperialismus werben wollte. Filmmusikreife, üppige Akkorde und ein Ensemble, das sich ganz auf die Musik und die für sich genommen nicht unproblematischen Texte einlässt, reißen mit. Selbst ein Stück wie "Charge", das zur Attacke bläst, hat da seinen Platz. Es ist nicht einmal schlimm, dass hier die Stimmen und das Orchester teils nicht ganz zusammenfinden oder die Spitzentöne nicht mühelos erklommen werden - hier geht es um Schlachtenlärm, die schlimmste vorstellbare Kakophonie. Virtuell fällt hier die Bombe, denn die Folgenummer sind den Worten des japanischen Dichters und Hiroshima-Überlebenden Toge Sankichi gewidmet, zum Leben erweckt von Chor und den kundigen Solisten Pfannkuch, Martin Petzold (Tenor) und Johannes Bauer (Bass).

Solistin aus dem Irak: Bushra Poles. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das ist schöne Musik und gerade darin liegt einer der Schockmomente. Was sich so eingängig anhören lässt, selbst wenn manchmal die Große Trommel heftig knallt, sind Schreckensvisionen, die durch den Krieg in Europa gerade zur brutalen Realität werden, so in den vertonten Versen des indischen Epos Mahabharata, in denen von brennenden Menschen die Rede ist. Folgerichtig intonieren Chor und Solisten daraufhin ein sanft schwebendes "Agnus dei" als Friedensbitte, mit der das Werk auch ausklingt.

In der britischen Presse wird Jenkins gerne als "Marmite"-Komponist bezeichnet, denn der Slogan, mit dem für die teerfarbene Würzpaste geworben wird, lautet: "Love it or hate it." Hier spricht sich die Mehrheit des Publikums mit stehenden Ovationen eindeutig für "The Armed Man" aus, sei es wegen der überzeugenden Konkretheit der Komposition oder, noch wahrscheinlicher, wegen der packenden Aufführung durch das Iffeldorfer Ensemble. Wem die Friedensmesse entgangen ist, kann beruhigt werden. In einer Sonntagsmatinee am 15. Mai wird sie wiederholt, diesmal in der Isarphilharmonie München.

Karten für "The Armed Man"- Eine Messe für den Frieden" am Sonntag, 15. Mai, 11 Uhr, in der Münchner Isarphilharmonie über München Ticket

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