Icking:"Ein wahrer Kosmos an Emotionen"

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Bassbariton Thomas Stimmel pflegt die Tradition des Kunstlieds. Augenblicklich perfektioniert er sich im Masterstudium Gesang bei Thomas Quasthoff.

Reinhard Szyszka

Thomas Stimmel hat Schuberts "Winterreise" auch schon einmal in der Tölzer Franzmühle gesungen. Zu seinen Vorbildern zählt Hans Hotter. (Foto: N/A)

Der aus Icking stammende Bassbariton Thomas Stimmel sammelte erste musikalische Erfahrungen beim Tölzer Knabenchor. An der Musikhochschule München studierte er Gesang bei Marilyn Schmiege, Liedgestaltung bei Donald Sulzen. Nach seinem sehr guten Diplom 2011 perfektioniert sich der 27-Jährige gegenwärtig im Masterstudium Gesang bei Thomas Quasthoff, in der Liedgestaltung bei Wolfram Rieger. Stimmel ist Kulturförderpreisträger des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. Am 9. März wird er in Icking mit Schuberts "Winterreise" zu hören sein. Im SZ-Gespräch äußerte er sich über seinen künstlerischen Werdegang, über Liedgesang sowie über seine Wünsche für die Zukunft.

SZ: Herr Stimmel, Ihr Weg zum Gesang führte über den Tölzer Knabenchor. Wie sind Sie zu diesem Chor gekommen?

Thomas Stimmel: Als ich in der Grundschule war, kamen Stimmbildner vom Tölzer Knabenchor in die Klassen und hörten sich die Kinder an. Daraufhin habe ich eine Einladung zu diesem Chor erhalten und bekam Lust, das einmal auszuprobieren. Ich stamme aber auch aus einer sehr musikaffinen Familie, bei uns wurde immer viel gesungen.

Wie führte dann Ihr Weg vom Knabenchor zum Gesangsstudium?

Nach dem Ende meiner Zeit beim Tölzer Knabenchor interessierte ich mich zunächst mehr für Popmusik oder Segelfliegen. Klassische Musik hatte ich erst einmal zur Genüge erlebt, auch den Stress, der damit verbunden ist. Der Umschwung kam, als ich ein A-cappella-Ensemble namens "Quintessenz" gehört habe und davon fasziniert war. Beim Wolfratshauser Jugendchor habe ich mein erstes Vokalensemble gegründet mit dem Namen "Voices unPLAKKT". Dieses Ensemble hat sich nach zwei Jahren aufgelöst, doch es entstand ein neues namens "Sound Affaire". Wir haben viele Konzerte gegeben und an Wettbewerben teilgenommen. Damals erhielt ich auch meinen ersten Gesangsunterricht von Profimusikern, zunächst für das Ensemblesingen, und kam so zur Hochschule.

2010 haben Sie im Kleinen Konzertsaal im Gasteig erstmals die "Winterreise" gesungen. Jetzt werden Sie diesen Zyklus in Icking aufführen. Welche Bedeutung hat das Werk für Sie?

Die "Winterreise" hat für mich einen ganz besonderen Stellenwert. Sie ist ja mit 24 Liedern einer der längsten zusammengehörigen Liederzyklen, und die Texte von Wilhelm Müller sind sehr anrührend, gerade für einen jungen Menschen, denn sie handeln von Liebe und Liebesleid eines jungen Menschen und dessen damit verbundenen Gefühle. Die "Winterreise" ist immer eine große Herausforderung, der man mit Ehrfurcht begegnet. Und Jahr um Jahr reift die Interpretation mit der persönlichen Entwicklung, und man entdeckt neue Nuancen im Text und in der Musik.

Haben Sie Lieblingslieder innerhalb der "Winterreise"?

Nein. Jedes Stück hat seine Besonderheit und seinen eigenen Platz im Kontext des Zyklus. Ich finde alle 24 Lieder spannend.

Gibt es andere Liederzyklen oder Einzellieder, die Sie besonders gerne singen?

Zur Zeit bereite ich mich auf einen Wettbewerb am 20. Februar vor und studiere dafür 30 Lieder ein von Debussy, Ravel, Strauss und Mahler. Und gerade Mahler bewegt mich tief, mit seiner besonderen "narrativen" Harmonik und Stimmführung. In seiner Verbindung von Text und Musik sehe ich viele Parallelen zu Schubert.

Wie wichtig ist für Sie der Text beim Liedgesang?

Ich finde es zunächst einmal toll, wie die großen Liedschöpfer getreu dem Text komponieren. Beim Einstudieren beginne ich damit, den Text zu lesen und zu verstehen, dann kommt die Musik, und zuletzt wird beides zusammengesetzt. Am Ende sind Text und Musik gleichwertig.

Wie sehen Sie das Verhältnis des Sängers zu seinem Klavierpartner?

Das hängt ganz vom Pianisten ab, und im Idealfall ergänzen sich beide. Der Sänger hat das Glück, auch noch einen Text zu transportieren, und ist daher etwas flexibler in der Gestaltung. Beide Musiker übermitteln Gefühle. Ich finde, der Pianist muss auf seinem Instrument ebenfalls "singen", und wenn er nicht schon im Vorspiel die richtige Empfindung trifft, dann wird es für den Sänger sehr schwer, auf den Zug aufzuspringen.

Sie haben ein breit gefächertes Repertoire, von Vivaldi bis Peter Eötvös. Was singen Sie besonders gerne?

Natürlich liegt mir das klassische Kunstlied besonders am Herzen. Aber je mehr ich singe, desto mehr erkenne ich, dass auch andere Stilrichtungen gleichwertig sind. Wenn die Emotion stimmt, ist alles schön zu singen. Ich bin ja im Chor mit Werken wie dem Weihnachtsoratorium und der Matthäuspassion aufgewachsen, das hat mich geprägt. Wichtig ist es, seine Stimme nicht je nach der Epoche zu verstellen, sondern alles mit seiner eigenen, unverfälschten Stimme zu singen.

Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Aber wohin soll die Reise gehen?

Ich will Musik machen auf einem Niveau, das mich befriedigt, und mit anderen Musikern fruchtbar zusammenarbeiten. Leider erleben wir einen Wandel der Gesellschaft, und klassische Musik hat nicht mehr den Stellenwert wie früher. Kulturetats werden zusammengestrichen, und die Klassikfirmen orientieren sich an äußerlichen Dingen, besonders an der Optik. Da kann ich nur anstreben, das, was ich mache, gut zu machen.

Haben Sie sängerische Vorbilder?

Mit zwölf Jahren habe ich von meiner Großmutter eine CD mit Hans Hotter geschenkt bekommen, und seither finde ich diesen Sänger ganz toll. Dann natürlich mein Lehrer Thomas Quasthoff, der nicht nur auf Schöngesang Wert legt, sondern darauf, dass man die Musik fühlt. Das ist anstrengend und fordernd, aber auch sehr bereichernd. Dietrich Fischer-Dieskau hätte ich gerne noch als Lehrer erlebt. Weitere Vorbilder sind Nikolaj Ghiaurov und Cesare Siepi sowie Simon Estes, der erste dunkelhäutige "Holländer" in Bayreuth.

Haben Sie einen besonderen Wunsch?

In der heutigen schnelllebigen Zeit wird die klassische Musik doch sehr vernachlässigt. Da würde ich mir wünschen, dass man sich wieder mehr auf die Ausdrucksform des Kunstlieds besinnt, das in kurzer Zeit einen wahren Kosmos an Emotionen beinhaltet. Das sollte man mehr in sein Leben hineinlassen.

Meistersolisten im Isartal: Franz Schubert: "Die Winterreise", Samstag, 9. März, 19.30 Uhr, Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium Icking, Thomas Stimmel, Bassbariton, Juho Alakärppä, Klavier

© SZ vom 13.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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