Icking:Die Königsklasse der Musik

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Winfried Grabe dirigiert die Sinfonietta. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Streichorchester Sinfonietta gab sein Herbstkonzert in der Auferstehungskirche

Von Reinhard Szyszka, Icking

"Heut' wagen wir uns an die Königsklasse." Dirigent Winfried Grabe brachte es auf den Punkt. Die Königsklasse: das ist Musik für reines Streichorchester, ohne Unterstützung von Bläsern. Blasinstrumente können durch ihre Klappen nur ganz bestimmte Töne hervorbringen und geben daher den Streichern Orientierung für die Intonation. Wenn diese Orientierung fehlt, sind die Streicher selber für die Intonation verantwortlich - vergleichbar einem Chor, der a cappella singt.

Die Sinfonietta ist ein solches reines Streichorchester, das sich an die Königsklasse wagen darf. Sie ist das Jugendorchester der Musikwerkstatt Jugend, zwischen dem Kinderorchester und der hochprofessionellen Neuen Philharmonie München angesiedelt.

Am Mittwoch gab das Orchester in der evangelischen Auferstehungskirche Icking sein Herbstkonzert. Das Programm führte zweimal von Böhmens Hain und Flur zur venezianischen Lagune und beide Male auch wieder zurück. Den Anfang machten zwei Stücke von Antonín Dvořák, von Grabe für Streichorchester arrangiert. Man hörte, welche Vielfalt an Klängen, welch differenzierte Tonsprache Orchester und Dirigent draufhaben. Schmelzend und weich kam das erste Stück daher, grimmig und zornig das zweite.

Danach gab es zum einzigen Mal an diesem Abend ein Blasinstrument zu hören - freilich nicht als Teil des Orchesters, sondern solistisch. Die 16jährige Esther Beaujean spielte eines der 37 Fagottkonzerte von Antonio Vivaldi. Grabe überließ den Platz in der Mitte seiner Solistin, schnappte sich seine Violine, setzte sich ans Pult des Konzertmeisters und leitete das Orchester von dort aus. Die historisch korrekte Lösung war das zweifellos; in Vivaldis Ospedale stand auch kein Dirigent im heutigen Sinne vor dem Orchester. Und die Streicher spielten nicht weniger präzise, wenn sie vom mitspielenden Konzertmeister geleitet wurden. Esther Beaujean zeigte, was auf dem oft belächelten Instrument Fagott alles möglich ist. Von finster grummelnd über martialisch bis melancholisch reichte das Klangspektrum. Die Künstlerin beherrschte ihr Instrument mit einer Virtuosität und Sicherheit, dass den Zuhörern der Atem stockte.

Zurück nach Böhmen, zu zwei weiteren romantischen Stücken von Dvořák. Grabe stand wieder am Dirigentenpult, und erneut hörte man die differenzierten Klänge, die der Dirigent seinem Orchester zu entlocken vermochte. Winzige Unsauberkeiten im Einsatz - besonders beim zweiten Stück - fielen nicht ins Gewicht, da sie binnen Bruchteilen von Sekunden korrigiert wurden. Wieder ging es nach Venedig, und wieder wurde Grabe zum Konzertmeister.

David Conrat Fuentes und Rebecca Yogeshwar waren die Solisten in einem der bekanntesten Werke von Vivaldi: dem Doppelkonzert für zwei Violinen a-Moll. Meisterlich beherrschten die beiden Solo-Geiger ihren Part, der insbesondere im Finale erhebliche Virtuosität verlangt. Und Grabe als Konzertmeister setzte volles Vertrauen in sein Orchester, agierte, verglichen mit dem Fagottkonzert zuvor, noch weniger als Leiter denn als Mitspieler. Das Vertrauen war gerechtfertigt, und es gab keinerlei Einbußen an orchestraler Präzision.

Nach der Pause dann das sicher anspruchsvollste Stück des Abends: die Serenade des Dvořák-Schwiegersohns Josef Suk. Grabe hatte eingangs darauf hingewiesen, dass das Werk nicht nur spieltechnisch schwer ist, sondern durch ungewohnte Modulationen auch die akustische Orientierung der Spieler erschwert. In der Tat gab es im dritten Satz winzige Unsauberkeiten. Doch nicht das war es, was von der Serenade im Gedächtnis blieb, sondern die blühenden Melodien im ersten Satz, die zauberhafte Walzerfolge im zweiten, die an Dvořáks amerikanische Werke erinnernde Aufbruchstimmung im Finale. Hier schafften es Dirigent und Orchester, dass man die Schwierigkeit nicht hörte. Großer, berechtigter Applaus für diese Leistung der Sinfonietta und ihres Leiters Winfried Grabe.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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