Historie:Der Talchronist

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Er hat seine Wahlheimat zu seinem Studienobjekt gemacht: Jost Gudelius erforscht seit Jahren die Geschichte der Jachenau. (Foto: Arnold Zimprich)

Der in Berlin geborene und in Siegen aufgewachsene Jost Gudelius ist ein Kenner der Jachenau. Seit vielen Jahren erforscht und notiert er die örtliche Geschichte

Von Arnold Zimprich, Jachenau

Jost Gudelius bittet, zunächst Platz zu nehmen hinter seinem Haus im Jachenauer Ortsteil Raut. "Ich muss noch kurz meiner Frau in der Küche helfen." Der jüngste Sohn baut an, neben dem mit dunklem Holz verschalten Altbau aus den späten 1970er-Jahren sorgen unverputzte Ziegel für einen frischen Farbton. Der Blick gleitet über weite Wiesen nach Südwesten, bleibt am blassgrauen Kalk der Rotwand hängen, die sich im Südwesten steil in den Himmel reckt. Der Hausherr kommt auf die Terrasse, kredenzt Wasser aus einem gläsernen Krug, setzt sich und beginnt mit angenehmem Timbre zu sprechen.

1942 in Berlin geboren, hat Gudelius Abitur in Siegen gemacht und eine umfassende Militärkarriere hinter sich. Bis 1988 war der Oberst a. D. vier Jahre Kommandeur des Gebirgsjägerbatallions 234 in Mittenwald, seit 1974 lebt er in der Jachenau, 2008 kommt seine Chronik "Die Jachenau" heraus.

Wie geht das zusammen, Kindheit und Jugend in Nordrhein-Westfalen und Jachenauer Talchronist? "Wir sind noch im Krieg bei Verwandten im Siegerland untergekommen. In Neuastenberg lernte ich Skifahren, machte im Winter 1960/61 eine Ausbildung zum Übungsleiter beim Deutschen Skiverband. In diesem Rahmen war ich 14 Tage in Canazei in den Dolomiten beim Skifahren, in den frühen 60er-Jahren kamen erste Skitouren in den Ötztaler Alpen. Der Wunsch, zu den Gebirgsjägern und damit nach Südbayern zu gehen, keimte bereits damals." 1966 wird Gudelius Heeresbergführer, wenig später heftet er sich auch die Plakette des staatlich geprüften Bergführers ans Revers. "Am 29. April hatte ich den Bergführer in der Tasche, zwei Tage später stand ich am Gipfel des Mont Blanc." Es ist um ihn geschehen, der Lebensmittelpunkt verlagert sich in die Berge rund um die Edelweiß-Kaserne in Mittenwald.

1973 lernt er beim Segeln auf einem "Kielzugvogel" auf dem Walchensee seine Frau Claudia kennen, 1975 heiraten sie. "Meine Frau entstammt einer Fliegerfamilie. Ihr Vater, Generalmajor Otto Höhne, der auch unser Haus in der Jachenau gebaut hat, flog mit einem Albatros-Doppeldecker in derselben Staffel wie Manfred von Richthofen."

Innerhalb von sechs Jahren kommen vier Kinder zur Welt, 1988 wird Gudelius nach Koblenz an das "Zentrum innere Führung" der Bundeswehr und dort wiederum an das Dezernat "Menschenführung" versetzt. "Ich kam mit den Lehren Paul Watzlawicks und anderer Kommunikationswissenschaftler in Berührung und stellte fest, dass hier vieles gelehrt wurde - Stichwort erlebnisorientierte Ausbildung (EOA) -, was wir bei den Gebirgsjägern schon ganz selbstverständlich seit vielen Jahren praktizierten." Gudelius war maßgeblich daran beteiligt, einen EOA-Ausbildungsgang zu entwickeln. Man orientiert sich am "Adventurous Training" der britischen Armee. "Der Ausbildungsgang fiel Anfang der 90er-Jahre den Sparmaßnahmen im Rahmen der Wiedervereinigung zum Opfer."

In Koblenz vertieft er sich in die Ahnenforschung, verbringt viel Zeit im Landeshauptarchiv, sein weiterer Weg als Familien- und Talchronist ist vorgezeichnet. Zum Ende seiner Militärkarriere wird Gudelius stellvertretender Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 11 in Bogen im Bayerischen Wald, 1993 beendet er mit 50 Jahren seine Laufbahn bei der Bundeswehr. "Eine Zeitlang arbeitete ich noch für die Hanns-Seidel-Stiftung, wollte jedoch meiner Frau das Schreiben ermöglichen." Er übernimmt die Kinder, Ehefrau Claudia, die sich fünf Jahre um den Nachwuchs gekümmert hatte, beginnt ihre Karriere als Schriftstellerin.

"Im Jahr 2000 begann ich dann in der Jachenau mit der Forschung zu den Felsmarchen", erzählt er. Das sind in diesem Fall Grenzmarkierungen zwischen dem Landgericht Bad Tölz und dem Klostergericht Benediktbeuern. "Zum Glück sind die geschichtlichen Vorgänge des seit dem 12. Jahrhundert vom Kloster Benediktbeuern besiedelten und 1192 erstmals erwähnten Tals bestens dokumentiert", sagt Gudelius. "Die Grenze wurde 1332 von Ludwig dem Bayer erstmals festgelegt. 1584 ordnet Herzog Wilhelm der Fromme an, die Grenze auch zu kennzeichnen." Den Grund für die in Felsen gemeißelten Markierungen kennt Gudelius: "Isarwinkler schlugen in der Jachenau immer wieder illegal Holz, das war den Klosteroberen seit jeher ein Dorn im Auge."

Der Jachenauer Sepp Fleckhauser forderte Jost Gudelius dazu auf, seine Forschungsergebnisse rund um die Felsmarchen mit der alten Jachenauer Chronik von Johannes Nar zu verquicken. "Mei, schreib's hoit alloa", sagte Fleckhauser keck. Gudelius macht sich 2002 prompt ans Werk, fast 70 Jahre nach dem Erscheinen der alten Chronik im Jahr 1933. "Es war mir ein Anliegen, die Generation, die den Krieg hier in der Jachenau noch miterlebt hat, abzuschöpfen." Gudelius geht von Haustür zu Haustür, ist von der Bereitschaft, Auskunft zu erteilen, überrascht. "Es ist zudem ein Glücksfall für einen Chronisten, wie gut die geschichtlichen Vorgänge in der Jachenau belegt sind."

Gudelius' Chronik baut auf der Nar'schen Chronik auf, ergänzt diese, illustriert das Leben im Tal auf knapp 400 Seiten. Es sollte nicht wie bei anderen Chroniken eine Herrschafts-, sondern eine Hausgeschichte werden, nah bei den Bewohnern bleiben. Gudelius verbringt viel Zeit im Hauptstaatsarchiv in München. "Die Vormittage arbeitete ich an der Chronik im Hauptstaatsarchiv, die Nachmittage widmete ich der Felsmarchen-Forschung."

Damit ist sein Forscherdrang längst nicht gestillt. "Der Grenzverlauf zwischen Bayern und Tirol im Vorkarwendel ist etwas, das mich schon länger beschäftigt." Gudelius ist schon im Kontakt mit dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen in Wien.

© SZ vom 21.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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