Gesundheitsmanagement im Betrieb:Gute und schlechte Chefs

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Der Weltmeister im Freiwasser-Schwimmen, Thomas Lurz, wärmt die Kongressteilnehmer auf. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wie Angestellte gesund bleiben, versuchen Experten und Betriebe beim Kongress in Bad Tölz zu ergründen. Als wichtigsten Faktor machen sie die Vorgesetzten aus

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Kaum hatten sich die Zuhörer im Tölzer Kurhaus hingesetzt, mussten sie wieder aufstehen. Thomas Lurz, zwölfmaliger Weltmeister im Freiwasser-Schwimmen, trat auf die Bühne und bat zur Morgengymnastik. Mit dem linken Arm nach hinten kreisen, mit dem rechten nach vorne, dann beides gleichzeitig - bitte alle zusammen. Ein Angestellter, der den ganzen Tag im Büro am Schreibtisch sitzt, könnte so auch etwas für seine Beweglichkeit tun. Aber manchmal reicht die Zeit nicht einmal dazu. Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung haben Arbeitsdruck und Stress zugenommen, und dies in einer Gesellschaft, in der auch das Durchschnittsalter der Beschäftigten steigt. "Oft meinen die Chefs, wir wären wie ein Computer, dabei schaffen wir das gerade so", sagte Moderatorin Silvia Lautenbacher beim 6. Bad Tölzer Gesundheitskongress.

Das Symposium wurde von der LNE GmbH (Lernen neu erleben) für Führungskräfte- und Teamcoaching veranstaltet, Partner sind die Barmer GEK, die Tourist-Info der Stadt, das Wirtschaftsforum Oberland und die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Das ganztägige Programm kreiste um die Frage, wie ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) künftig aussehen soll. In manchen Firmen ist BGM noch immer ein unbekanntes Akronym, in anderen ein Feigenblatt. "In vielen Unternehmen ist es eine Kosmetikveranstaltung, das macht sich gut im Internet, aber es hilft nichts", sagte Elke Nürnberger, Geschäftsführerin des Unternehmens "Nürnberger Coaching". Dabei stünden Beschäftigte in der modernen Arbeitswelt oft permanent unter Druck, mangels Zeit für ihre Aufgaben, mangels Personal. Sie litten unter ständiger Verfügbarkeit über E-Mail oder SMS, hinzu kämen eine überbordende Flut an Informationen und das Multitasking, das gleichzeitige Erledigen mehrerer Aufgaben. Darauf reagierten viele Mitarbeiter, indem sie noch schneller arbeiteten und nicht mehr zwischen Arbeitszeit und Feierabend unterschieden. "Eine verwobene Lebenssituation", sagte Nürnberger. Die Folge ist eine Zunahme psychischer Erkrankungen wie etwa Depressionen bis hin zu Burn out oder körperlicher Beschwerden.

Im betrieblichen Gesundheitsmanagement geht es für Nürnberger jedoch nicht um die Frage, was einen Angestellten krank macht. Vielmehr um "Salutogenese" - also darum, was ihn gesund macht. Dabei ist es für sie aber nicht damit getan, dass ein Firmenchef einen Obstkorb für seine Belegschaft hinstellt. Entscheidend sei "das Wohlfühlen in der Arbeit", sagte sie. Als Faktoren dafür nannte sie Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Verstehbarkeit? "Es geht um eine achtsame und offene Kommunikation", so Nürnberger. "Ein Mitarbeiter muss auch mal sagen dürfen, ich schaffe das nicht." Handhabbarkeit? Die Unternehmerin plädierte für ein individuelle Leistungsgestaltung. "Es ist nicht fair, junge und alte Mitarbeiter gleich zu behandeln." Außerdem könne ein Team, das erst aus 15 Leuten bestand und nun nur aus acht, nicht das Gleiche leisten. "Da braucht es auch den Mut der Führungskräfte, sich hinzustellen und zu sagen, mein Team kann nicht mehr." Sinnhaftigkeit? Unternehmenswerte dürften nicht bloß im goldenen Rahmen an der Wand hängen, so Nürnberger. Außerdem sei "die Energie des Vertrauens" nötig. "Man muss den Mitarbeiter als mündigen Menschen begreifen und darf nicht nur gucken, hast du es richtig gemacht, funktionierst du."

Stress, Zeitdruck, Arbeitsüberlastung sind das eine. Ein stets nur fordernder Vorgesetzter ist das andere. Eine Führungskraft sei "eine ,Arbeitsbedingung', die krank machen kann", sagte Professor Peter Fischer vom Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg. Nötig seien agile Führungskräfte: "Sie müssen Experten für die Menschen sein", sie müssten wissen, wie Denken, Emotionen und Verhaltenssteuerung funktionieren, so Ritter. Schließlich seien die Beschäftigten viel individueller, "als man es in einer einfachen Checkliste liest". Zum Beispiel im Umgang mit Stress oder einer schweren Krankheit. Für den Wissenschaftler brauchen Vorgesetzte deshalb ein Kurs in Psychologie als "Grundbetankung", vor allem aber die Fähigkeit zu disruptivem Denken - "sie sollen auf die anderen Seite schauen und es aushalten können, wenn jemand sie kritisiert". Das meiste, was eine Führungskraft für die Untergebenen tun könne, sei ihnen Selbstwirkungsgefühl zu vermitteln: Das Gefühl, dass sie die Kontrolle haben.

Als Landrat ist auch Josef Niedermaier (FW) eine Führungskraft. "Oft wüsste man es, aber man tut es nicht", sagte er, als Moderatorin Lautenbacher wissen wollte, wie es um seine agile Führung bestellt sei. Ansonsten verwies er darauf, dass Vorgesetzte auch Menschen seien und Entspannung bräuchten. Aber da fehle es an der gesellschaftlichen Akzeptanz. Die Frage, wie das Gesundheitsmanagement im Tölzer Rathaus aussieht, umschiffte Zweiter Bürgermeister Andreas Wiedemann (FWG). Er listete lieber auf, was Tölz als Kurstadt zu bieten hat - vom Vitalzentrum über IGM (Individuelles Gesundheitsmanagement) bis zum geplanten Spa "Natura Tölz".

Gabriele Falch von der vbw-Bezirksgruppe München-Oberbayern schrieb den Firmen ins Stammbuch: "Gesunde Mitarbeiter sind der Erfolgsfaktor eines Unternehmens. Sie kommen nicht drumherum, Ihre Leute fit zu halten."

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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