Geretsried:Wie es war

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Modell im Rathaus zeigt das Gesicht des einstigen Lagers Stein.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Stellten das Modell vom ehemaligen Lager in Stein vor (v.li): Andreas Porer, Lieselotte Plangger, Franz Pikal, Arthur Zimprich, Werner Sebb, Anita Zwicknagl (Foto: Hartmut Pöstges)

Lilo Plangger steht an dem nagelneuen tischgroßen Modell des früheren Lagers Geretsried-Stein und zeigt auf einzelne kleine Häuser zwischen den vielen Bäumchen: Hier war der Lebensmittelladen Böhm und Singer, dort die Molkerei, die Metzgerei, die Gastwirtschaft mit dem großen Saal - "wo's ganz schön abgegangen ist". Was da so abging? "Na, in unserer Jugend: Rock'n'Roll!" Lilo Plangger, heute 69 Jahre alt, war vier, als sie mit ihren Eltern und dem Bruder aus dem damaligen Graslitz im Egerland in Geretsried gelandet war. Ihre Kindheit und Jugend hat sie im Lager Stein verbracht, und nach einigen Jahren, in denen sie am Geretsrieder Johannisplatz gelebt hat, ist sie dann zurückgekehrt: in den neuen Stadtteil Stein. Dessen Struktur kann man in einigen Zügen schon erahnen auf dem Modell, das Franz Pikal im Maßstab 1:2000 angefertigt hat. Seit wenigen Tagen steht es im Eingangsbereich des Geretsrieder Rathauses.

Der Arbeitskreis Historisches Geretsried möchte damit "ein Anschauungsobjekt für kommende Generationen" bieten, sagt sein Sprecher Werner Sebb, der die Idee hatte. Als Basis für Pikals akribische, monatelange Arbeit diente ein Plan, den Fritz Noppes, Architekt großer Teile des Nachkriegs-Geretsrieds, 1948 skizziert hatte. Außerdem zogen die ehrenamtlichen Geretsrieder Historiker Zeitzeugen wie Lilo Plangger und Helga Blaschko zu Rate. Ob auf diese Weise nun wirklich jedes einzelne Gebäude erfasst und dargestellt werden konnte, wisse man nicht sicher, erklärt Sebb. Das Modell zeigt aber, wie die Flüchtlinge in den Jahren um 1950 dort, im äußersten Süden Geretsrieds, lebten.

Stein erinnert wie fast alles in Geretsried an die NS-Zeit. Die ersten Gebäude des Lagers inmitten des Forsts wurden von den Nazis als Unterkünfte der Arbeiter errichtet, welche die Munitionsfabrik DSC aufbauten. Sie dienten während des Betriebs des Rüstungsunternehmens als Wohnungen der Dienstverpflichteten, Fremd- und Zwangsarbeiter. Unmittelbar nach der Befreiung nahm das Lager etwa 1500 Überlebende des Todesmarschs aus dem Konzentrationslager Dachau auf. Im Wald gegenüber, jenseits der Richard-Wagner-Straße, existierte auch ein Massengrab - mit diesem Wort ist es in Noppes' Planskizze gekennzeichnet. Dort lagen die Leichen von sieben KZ-Häftlingen, die den von der SS angetriebenen Marsch gen Süden nicht überlebt hatten; sie wurden aber später auf den Dachauer Häftlingsfriedhof umgebettet. Sebb sagt, der Historische Arbeitskreis möchte gern die exakte Stelle des Steiner Massengrabs ausfindig machen und sie mit einem Hinweis an der Straße kennzeichnen.

Von 1945 bis 1950 war Stein ein UN-Lager für Displaced Persons, danach wurde es die neue Heimat vieler Vertriebener. Von 1959 bis 1987 war dort ein Durchgangslager für Spätaussiedler aus dem Osten. "Viele von ihnen sind in Geretsried geblieben und tragen zur lebendigen Vielfalt der Stadt bei", sagt Sebb, der selbst in Stein lebt.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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