Geretsried:Im Sog des Dukes

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Die Mixed Voices, das Vokalensemble der Groove Academy Geretsried und der Gospelchor Sankt Lukas München gestalteten das "Sacred Concert". (Foto: Hartmut Pöstges)

Ellingtons "Sacred Concert" in Geretsried

Von Sabine Näher, Geretsried

Eine halbe Stunde vor Konzertbeginn ist am Sonntag im Umkreis der Pfarrkirche "Heilige Familie" schon kein Parkplatz mehr zu bekommen. Das lässt den Ansturm auf die Abendkasse ahnen. Und in der Tat: Lange Schlangen von Besuchern, die auf Restkarten warten, drinnen werden Stühle herbeigeschleppt. Das ist die Resonanz, von der ein Veranstalter träumt. Dieses Konzert sei trotz des Kulturherbst-Desasters nie gefährdet gewesen, betont Bürgermeister Michael Müller, der den Rettern der anderen verbliebenen Konzerte gleichwohl nochmals dankt. Dann geht's los. Da das Hauptwerk, Duke Ellingtons "Sacred Concert", nicht abendfüllend ist, grooven die SJE Big Band Seefeld unter Leitung von Lothar Ringmayr und Gesangssolistin Marie Brandis das erwartungsvolle Publikum schon mal ein. Dann entern die Chöre die Bühne. Zum Geretsrieder Ensemble Mixed Voices (dessen Leiter Roland Hammerschmied auch die Gesamtleitung des Konzerts hat) treten das Vokalensemble der Groove Academy Geretsried (Enno Strauß) und der Gospelchor Sankt Lukas München (Bastian Pusch).

Hammerschmied führt kurz in Vita und Werk ein: Als er bereits 66 Jahre alt war, wurde der weltberühmte Pianist, Bandleader und Komponist Duke Ellington gebeten, ein geistliches Werk zu schreiben. Zwischen 1965 und 1973 entstanden so drei "Sacred Concerts", mit denen Ellington durch die USA und Europa tourte. Er selbst soll darüber gesagt haben: "The most important thing I have ever done." Eine festgelegte Partitur gab es nicht; aus den einzelnen Nummern wurde für jedes Konzert spontan etwas zusammengestellt.

Als 1993, fast 20 Jahre nach Ellingtons Tod, ein internationaler Workshop zu diesem Werk veranstaltet werden sollte, entstand erstmals eine komplette Partitur. Dieses Arrangement von John Hoybye und Peder Pedersen, das die Rolle des Chors aufwertet, liegt den Aufführungen seither zugrunde. So auch in Geretsried.

Hammerschmieds Dirigierstil - lässig, mit tänzerischem Körpereinsatz - passt zu dieser Musik. Sie strahlt eine Lebensfreude und Leichtigkeit aus, die traditioneller europäischer Kirchenmusik meist abgeht. Die erste Nummer, "Praise God", wird von der Big Band fetzig eingeleitet, der Chor steigt eher salbungsvoll ein und übernimmt dann die Lässigkeit der Instrumente. Solche Momente gibt es öfter: Es scheint, dass der Chor Elemente der klassischen Kirchenmusik transportiert, die mit dem Jazzsound der Band und der Solistin zu einer neuen Einheit verschmelzen.

Beim ersten a-cappella-Einsatz wirkt der Chor noch etwas dünn, findet aber bald zu tragendem Klang. Daraus entwickelt sich ein starker Moment: Zum Chor tritt ein Saxofon-Solo mit wie improvisiert wirkenden Einwürfen. Gerade das Saxofon, das per se unglaubliche Lässigkeit ausstrahlt, ist immer wieder Motor für Momente, in denen der Klang abhebt und den Hörer auf den Höhenflug mitnimmt. Und so manches Klaviersolo könnte ebenso gut in einer Bar erklingen. Wippende Füße, nickende Köpfe sieht man in der Kirche eher selten, doch der Sogwirkung dieser Musik kann sich niemand entziehen. Eine gesprochene Passage auf einem weichen Chor-Klang-Teppich, ein "Freedom!"-Ruf aus dem Chor, dem die Wiederholung der Friedensbitte in unzähligen Sprachen folgt, sind weitere, ungewöhnliche Gestaltungselemente. Besonders berührend auch, wenn die Solistin mit Vokalisenketten über dem atmosphärisch dicht singenden Chor schwebt.

Die Schlussemphase mit mehreren Soloeinlagen steigert sich in einen Turbo-Sog. "Klatschen Sie bitte nicht während des Werkes. Sie werden schon merken, wenn es vorüber ist", hatte Hammerschmied eingangs gesagt. Und so ist es: Mit dem letzten Akkord erhebt sich das Publikum laut jubelnd von den Stühlen.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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