Geretsried:Hingerl will zwölf Millionen Schadensersatz

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Josef Hingerl sieht die Schuld für die Schließung von Sieber beim Freistaat und fordert Schadensersatz. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Insolvenzverwalter von Sieber fordert hohe Summe vom Freistaat und will notfalls klagen. Seiner Überzeugung nach wurde die Großmetzgerei zu Unrecht geschlossen

Von David Costanzo, Geretsried

Am Donnerstagmorgen gegen 9.30 Uhr erscheinen einige Gläubiger der Großmetzgerei Sieber in Sitzungssaal drei des Wolfratshauser Amtsgerichts - die Hausbank als Hauptgläubiger ist dabei. Der Andrang hält sich in Grenzen: Nur etwa zehn der rund 100 anderen Betroffenen sind vertreten, zu denen etliche der einst 120 Mitarbeiter und Lieferanten zählen. Insolvenzverwalter Josef Hingerl referiert eine Dreiviertelstunde darüber, warum die Behörden den Betrieb nach den Listerienfunden zu unrecht geschlossen hätten. Dann fällt ein einstimmiger Beschluss: Sieber verklagt den Freistaat auf bis zu zwölf Millionen Euro Schadenersatz.

Alles hat ein Ende: Die fast 200-jährige Geschichte der Großmetzgerei Sieber nähert sich dem finalen Kapitel. Die letzten 20 Jahre dieser Geschichte, die in München als königlicher Hoflieferant begann, spielen in der Geretsrieder Böhmerwaldstraße. Nun steht die Zerschlagung bevor. Insolvenzverwalter Hingerl hat einen Sachverständigen damit beauftragt, den Wert von Grundstück und Immobilie zu ermitteln. Für die Stadt Geretsried ist damit aber auch klar, dass die Geschichte weitergeht: Die laut Hingerl rund 12 000 Quadratmeter würden verkauft. Darauf könnte also etwas Neues entstehen. Nebenan auf dem Lorenz-Areal planen Stadt, Genossenschaft und Investor bereits 600 günstige Wohnungen. Die Behörden hatten den Betrieb Ende Mai geschlossen und tonnenweise Würste und Wammerl aus dem Handel zurückgerufen. Auf Sieber-Produkten waren Listerien gefunden worden waren, die laut Behörden mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Krankheitsausbruch in Süddeutschland verantwortlich sind.

Aus Sicht des Insolvenzverwalters hätte das "Vorzeigeunternehmen Sieber" jedoch nicht geschlossen werden dürfen. Darum fordert Hingerl zunächst rund elf Millionen Euro, eine weitere Million komme wohl bei der Abwicklung des Unternehmens hinzu. Diese Forderung werde er zunächst mit einmonatiger Frist bei Landratsamt und Verbraucherministerium geltend machen, um einen außergerichtlichen Vergleich anzubieten. Zahlen diese nicht, werde er die Klage im Dezember beim Verwaltungsgericht einreichen.

Die Begründung liefert er in seiner 30-seitigen Schrift: In den vergangenen zehn Jahren habe es nur eine Probe gegeben, die über dem gesetzlichen Grenzwert für Listerien lag - ein Wacholderwammerl, das am 16. März in Franken gefunden worden war. Dieser Fall sei umgehend abgearbeitet worden. Im Mai sei zudem eine nur schwach belastete Packung "Fleischwurst mit Paprika" falsch zugeordnet worden: Statt dem Werksverkauf unmittelbar vor den Toren der Großmetzgerei, wo sie gefunden worden war, hätten Beamte sie in den Betrieb verschoben. Der Unterschied: Im Handel gilt ein Grenzwert von 100 koloniebildenden Einheiten pro Gramm, im Betrieb null Toleranz. Die Probe habe eine Belastung von unter zehn Einheiten gehabt. Erst die aus Sicht des Unternehmens falsche Zuordnung habe offenbar zur Schließung geführt. Seit Monaten verknüpft Hingerl seine Argumentation mit politischen Vorwürfen: Wie zuvor der Sieber-Geschäftsführer erklärte er, das Verbraucherschutzministerium habe nach den Fällen Bayernei und Müller-Brot ein Exempel statuieren wollen.

Die Behörden haben die Darstellungen des Unternehmens stets vehement zurückgewiesen. "In diesem Fall ging es darum, ein mutmaßlich durch Produkte der Firma Sieber verursachtes Krankheitsgeschehen mit mehreren Toten zu beenden", erklärte ein Sprecher des Verbraucherschutzministeriums zuletzt. Nach Erkenntnissen des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit liegen derzeit 23 Listeria-monocytogenes-Isolate vor, die Muster aufweisen, die für das Ausbruchsgeschehen in Süddeutschland spezifisch seien. Seit 2012 erkrankten bei dieser Welle 78 meist ältere Menschen, acht starben, zwei Schwangere erlitten Fehlgeburten. Nach der Schließung des Unternehmens waren laut den Behörden zuletzt keine weiteren Fälle hinzugekommen.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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