Geretsried:"Heute geschlossen"

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Das Geretsrieder Metzgereiunternehmen Sieber hat sich von dem Listerien-Skandal nicht mehr erholt

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Es ist ein schwerer Schlag für die 120 Mitarbeiter der Geretsrieder Großmetzgerei Sieber: Ende Mai löst das Traditionsunternehmen einen Skandal aus, der bundesweit durch die Medien geht. Lebensmittelkontrolleure finden auf Fleisch- und Wurstprodukten Listerien, der Werksverkauf wird eingestellt, sämtliche Waren zurückgerufen, es entsteht Schaden in Millionenhöhe, in nur elf Tagen ist der ehemalige Hoflieferant insolvent - und wird sich davon nicht mehr erholen.

Für die Kunden beginnt alles mit einem Zettel an einer Glastür: "Heute geschlossen", lautet die Botschaft, die Siebers Mitarbeiter am Eingang zum Werksverkauf angebracht haben. Für Sieber nehmen die Dinge bereits Ende März ihren Lauf: Auf einem "Original Bayrischen Wacholderwammerl" weisen die Behörden eine Kontamination mit Listerien nach, Sieber zieht die gesamte Charge daraufhin aus dem Verkehr, reagiert mit Maßnahmen im Betrieb und unterzieht sich einer engmaschigen Kontrolle durch das Landratsamt. Zunächst scheint die Krise überwunden - dann finden die Behörden neue Listerien auf weiteren Produkten. Als Sieber den markanten Geretsrieder Werksverkauf wiedereröffnet, geschieht es nur, um Waren zurückzunehmen: Hunderte Tonnen Fleisch, Wurst und selbst vegetarische Aufschnitte lässt das Landratsamt zurückrufen, Sieber darf keine Waren mehr ausliefern. Erst Wochen später wird klar sein: Es ist das Aus des Betriebs.

Insbesondere der verpackte Schinken von Sieber steht nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts und der Gesundheitsbehörden im Verdacht, für eine Listeriose-Infektionswelle verantwortlich zu sein, die Südbayern im Jahr 2012 ergriffen hatte. Seit damals hatten sich 76 Menschen an der meldepflichtigen Krankheit infiziert, in acht Fällen endete sie tödlich, zwei Schwangere erlitten Fehlgeburten. Sieber, dessen Firmengeschichte bis 1825 zurückreicht, beliefert zahlreiche Supermärkte in Süddeutschland, verschiedene Großkantinen, bis 2007 das Oktoberfest und bis wenige Wochen vor der Schließung einen Imbiss im Lehel. Wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz, nimmt die Staatsanwaltschaft München II die Ermittlungen auf.

Am 7. Juni, knapp anderthalb Wochen nachdem der "Heute geschlossen"-Zettel an der Tür zum Werksverkauf aufgetaucht ist, meldet Sieber Insolvenz an. "Es ist aus", verkündet Inhaber und Geschäftsführer Dietmar Schach. Unklar ist für die 120 Mitarbeiter, wie es für sie weitergehen soll - ob sie am Ende des Monats Geld auf dem Konto sehen oder gar ihren Job behalten.

Insolvenzverwalter Josef Hingerl gibt sich optimistisch. Der erfahrene und oft erfolgreiche Spezialist für Unternehmenssanierungen - zweimal hat er die Tölzer Eissportgesellschaft aus der Insolvenz gerettet, die bankrotte Huber Präzisionstechnik machte er zu einem florierenden Unternehmen - will Sieber retten. Den Mitarbeitern sagt er für drei Monate Gehalt zu, glaubt sogar daran, dass der Großmetzger wieder in Betrieb gehen wird. "Wir wollen den Tanker wieder flott machen", sagt er auf einer Betriebsversammlung. Von dem dänischen Professor Dieter Elsser-Gravensen lässt Hingerl ein Hygienekonzept erstellen, das von den Behörden abgesegnet wird. Die Sanierung kann beginnen.

In dem schmucklosen Betrieb an der Böhmerwaldstraße beginnt im Herbst die Umgestaltung, Sieber installiert eine Stiefeldusche für Mitarbeiter, verändert die Lüftungsanlage, baut eine Ampelanlage zur Händedesinfektion - am Ende soll die Listerien-Gefahr gebannt sein, das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erlaubt dem Metzger, wieder zu produzieren. Was fehlt, ist Kapital. Der Anwalt wirft den Behörden vor, überzogen reagiert zu haben: Das "Vorzeigeunternehmen Sieber" hätte nicht geschlossen werden dürfen, sagt Hingerl Mitte November - und kündigt an, den Freistaat auf zwölf Millionen Euro Schadensersatz zu verklagen.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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