SZ-Serie: Angekommen:"Heimat is do, wo ich glicklich bin"

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Anneliese Zagolla, Kreisvorsitzende der Banater Schwaben, ist 1975 als 20-jährige Spätaussiedlerin nach Geretsried gekommen. Die erste Bleibe war ein Durchgangslager aus Baracken.

Von Wolfgang Schäl, Geretsried

Das Weggehen und Ankommen, das Zurücklassen und das Neue, der Blick auf die eigenen Wurzeln und nach vorn - das ist der Kreis, in dem sich das Leben und Denken von Anneliese Zagolla bewegt. Immer geht es darin um eines: um Heimat, es ist das zentrale Wort, dem sie in selbstverfassten, öffentlich vorgetragenen Mundartgedichten nachspürt. "Bau uff die Heimat, wo Du bist, a wenn des grad so leicht net ist", heißt es in einem ihrer Verse.

Leicht war es sehr oft nicht im Leben der Anneliese Zagolla, die soeben zur Vorsitzenden der Kreisgruppe Geretsried in der Landsmannschaft der Banater Schwaben gewählt worden ist. Das Vertriebenen-Schicksal ist der heute 61-Jährigen immerhin erspart geblieben, denn erst 1975 ist die in Perjamosch in Rumänien Geborene mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen. Es war das Jahr, in dem die stalinistische Diktatur Nicolae Ceausescus ihren Lauf nahm, eine Ära, die geprägt war von ausufernder Korruption und Behördenwillkür. "Wir haben uns jahrelang vergeblich um die Ausreise bemüht, es war ganz grausam", erinnert sich Zagolla, allen möglichen Erpressungen sei man ausgesetzt gewesen. So habe ihr Vater einem Notar seine wertvolle Münzsammlung geben müssen, um die notwendige Unterschrift für die Ausreise zu erhalten.

1975 war auch das Jahr, in dem in Rumänien ein Gesetz in Kraft trat, wonach Spätaussiedler ihren gesamten Besitz, auch Immobilien, bei der Auswanderung ersatzlos dem Staat übergeben mussten. Ihre Familie besaß bis dahin ein Haus mit einem großen Garten, in dem sie Paprika anbaute - damals die Lebensgrundlage, die den Eltern und zwei Geschwistern mit der Enteignung entzogen wurde. Die Familie war nicht die einzige, die sich auf den Weg machte, unter den frustrierenden politischen Umständen verließen viele Deutschstämmige das Banat. Zagolla erinnert sich an die Auswanderungswelle, die damals einsetzte. "In allen Nachbarhäusern waren plötzlich fremde Leute, man war allenfalls noch geduldet, aber nicht gern gesehen. "Da will man nur noch weg." Für die damals Zwanzigjährige kam es freilich schon aus einem einzigen Grund nicht in Betracht im Land ihrer Kindheit zurückzubleiben - "ich wollte die Welt sehen."

Anneliese Zagollas Bruder Johann Kovatsch mit Freundin in Perjamoscher Tracht zu Kirchweih. (Foto: privat)

Die neue Welt im Westen war dann nicht so rosig wie erwartet. Eigentlich wollten die Zagollas nach Nordbayern, weil sich dort schon viele Banater Schwaben zusammengefunden und angesiedelt hatten, Endstation war dann aber das Durchgangslager, Zagolla nennt es "Dulag", im Geretsrieder Ortsteil Stein: Baracken mit Einzelzimmern für eine ganze Familie, darin vier Eisen-Stockbetten. "Es war ein Schock für uns", sagt Zagolla, "wir haben uns gefühlt wie in einem rumänischen Knast." Zwei Jahre dauerte es, bis die Eltern eine Sozialwohnung zugewiesen bekamen. Als besonders schmerzhaft hat sie es empfunden, dass sie in ihrer neuen Heimat nun plötzlich als Rumänin betrachtet wurde. "Ich habe mit meiner Mutter immer nur Schwäbisch gesprochen, ich bin Deutsche, und alle meine Vorfahren waren seit der Ansiedlung im Banat Deutsche. Und wir leben auch jetzt unsere Tradition als Deutsche." Zum Rumänischen hat sie nie ein Verhältnis gefunden, das sei ja keine slawische, sondern eine romanische Sprache mit allerlei französischen Elementen.

Um ihre deutschen Wurzeln nachzuweisen, hat sich Zagolla intensiv auch mit Ahnenforschung befasst und ist auf ein Kirchenbuch aus dem Jahr 1760 gestoßen, das die Herkunft ihrer "Urahnen", wie sie sagt, belegt. Trotz der Anlaufprobleme im Westen habe sie sich aber sofort integriert, Berührungsängste habe sie nicht gehabt - "die 20 Jahre, die ich im Banat gelebt habe, haben mich offen für die Multikultigesellschaft gemacht", sagt sie. Und: "Ich will meinen Beitrag leisten, dass alle die gleiche Chance haben."

Anneliese Zagolla pflegt als "Schwowekind" eine Internet-Seite. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit der Landsmannschaft, deren Kreisvorsitzende sie jetzt ist, steht es nicht zum Besten. Auf Landesebene werde bei den Banater Schwaben zwar viel für den Nachwuchs getan, im Geretsrieder Kreisverband mit seinen rund 100 Mitgliedern aber hat sie ein großes Problem, die Jugend zu gewinnen. "Hier sind nur ältere Leute, und die sind überwiegend passiv." Die Trachtengruppe gehört nach Verbandsquerelen nicht mehr zur Landsmannschaft. So besteht ihre Aufgabe denn überwiegend aus Verwaltungsarbeit und der Organisation von Festen wie dem Schwabenball. Unzufrieden fühlt sie sich bei alledem nicht, "ich habe auch viel Glück in meinem Leben gehabt", sagt sie, trotz beruflicher Enttäuschungen. Mit ihrer Ausbildung zur Elektrikerin konnte sie im Westen nichts anfangen, auch die Erfahrung, dass man hierzulande seine Rechte als Arbeitnehmer notfalls gerichtlich durchfechten muss, ist ihr nicht erspart geblieben. Innerlich verändert hat sie sich bei alledem nicht: "Ich bin bodenständig, Fleiß, Familienbewusstsein, Tradition und Disziplin, das alles zeichnet uns Banater Schwaben aus."

Besonders wichtig sind ihr Disziplin und Respekt voreinander, denn bei ihren Vorfahren lebten ja bis zu vier Generationen in einem Haus. Das sei einzigartig - das Mehrgenerationenhaus sei eine Form des Zusammenlebens, die heute ja wieder entdeckt werde. Den Respekt vor den Älteren und das Traditionsbewusstsein versucht Zagolla auch ihren beiden Enkeln zu vermitteln, ohne dabei dem Land ihrer Jugend und dem materiellen Verlust nachzuhängen. "Heimat is do, wo mei Liewe sin", heißt es in dem programmatischen Gedicht, das sie geradezu als Vermächtnis sieht und das sie auch auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat, "Heimat is do, wo ich glicklich bin."

www. schwowekind.de

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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