Erfahrungsbericht:Aus dem Nordirak nach Geretsried

Lesezeit: 2 min

Mesner und Hausmeister Rafie Isso (rechts) in seinem Büro im Pfarrzentrum Heilige Familie in Geretsried mit Pfarrer Georg März. (Foto: Hartmut Pöstges)

Rafie Isso arbeitet als Mesner im Pfarrzentrum Heilige Familie. In einem Vortrag berichtet der Christ vom Leben in seiner alten Heimat und der Eroberung durch die Terrormiliz IS

Von Andreas Scheuerer, Geretsried

Von Kugeln durchlöcherte Kirchentüren und ans Kreuz geschlagene Christen - was in Europa unvorstellbar ist, ist Alltag in Rafie Issos Heimatstadt Qaraqosh. Der aramäische Christ floh vor 16 Jahren mit seiner Familie aus dem Nordirak. Nun lebt und arbeitet er seit zwei Jahren im Pfarrzentrum Heilige Familie in Geretsried. Über seine Flucht, und wie es ist, Christ im Irak zu sein, berichtet er am Mittwochabend in einem Vortrag.

Aufgeregt wirkt der kleine, hagere Mann aus dem Irak zu Beginn seines Vortrags. Sein Deutsch ist gebrochen - wohl mehr noch wegen der Anspannung, die ein solcher Vortag mit sich bringt. Er zeigt Bilder. Bilder wie jene, in denen IS-Terroristen die Kreuze von den Kirchen seiner Stadt stürzen und durch schwarz-weiße Flaggen ersetzen. Und dann solche, die die eingangs beschriebene Szenerie zeigen. Das Publikum ist schockiert. Er selbst bleibt ruhig. In seinen Anekdoten und Geschichten weist Isso immer wieder darauf hin, das all diese Fotos in oder nahe seiner Heimatstadt entstanden sind.

Die Bilder stellen eine Art Streifzug durch die Christenverfolgung im Irak dar, die laut Isso "Tradition" habe und nur von wenigen Friedenszeiten abgelöst wurde. Die letzte Periode des Friedens, an die er sich erinnere, sei die Zeit der Herrschaft von Saddam Hussein gewesen, in der Christen - wohl aufgrund parteiinterner christlicher Politiker - unverfolgt leben konnten. Er und seine Familie flohen im Jahr 1998, im Zuge des Aufbegehrens der nationalistischen Baath-Partei, nach Jordanien. Ihr beantragtes Visa für Deutschland kam erst zwei Jahre später.

In Deutschland wurde die Familie zuerst nach München, dann nach Nürnberg geschickt. Sein Einkommen bestritt Rafie Isso dabei durch kleine Gelegenheitsjobs als Pizzalieferant oder Paketzusteller. Aber auch mit den Staatshilfen, war sein Verdienst gering, vor allem für eine fünfköpfige Familie. Auch haben dem gelernten Bibliothekar, der aus einer sehr religiösen, christlichen Familie stammt, die beiden Großstädte nicht gefallen. "Ich mag lieber kleinere Orte. Hier kennt jeder jeden. Die Gemeinschaft ist eine andere; enger, herzlicher. So wie hier in Geretsried", wo der Nordiraker nun seine neue Heimat gefunden hat, wie er meint. "Geretsried ist ähnlich wie meine Heimatstadt. Hier sehe ich die Zukunft meiner Familie".

Seit nunmehr zwei Jahren ist Rafie Isso im Pfarrzentrum Heilige Familie Hausmeister und stellvertretender Mesner. 2012 wurde er deutscher Staatsbürger, damals besuchte er auch zum letzten Mal seine Heimatstadt Qaraqosh.

Hier hatten die Menschen in der Zwischenzeit Reichtum angehäuft: Fast jeder besaß zwei Autos und zwei Häuser, wie Isso sagt. Sie fragten ihn, wieso er nicht zurückkomme. Aber Isso war skeptisch. Er sah keine Zukunft für ihn und seine Familie dort und wusste, dass die neu gewonnen Freiheit innerhalb des Regimes trügerisch war. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Christen im Irak immer wieder büßen müssen." Ins Schwärmen kommt Rafie, wie ihn viele Gemeindemitglieder nennen, nur selten während seines Vortrags. Lediglich die Fotos von der Weihnachtsfeier in seiner Stadt - dort ist es Tradition, ein großes Feuer am Marktplatz zu entzünden - rufen Emotionen hervor. Auch ein Video vom Palmsonntag, das Tausende ausgelassene Irakis beim Feiern zeigt, "schmerzt meinem Herzen", wie Isso gesteht. Zum Schluss zeigt der 42-Jährige dann noch ein anderes Video, nämlich das vom 10. Juni 2014, dem Tag der Übernahme von Qaraqosh durch die Terrormiliz IS. Und schon ist die Euphorie, die auch die rund 60 Gäste des Vortrags ergriffen hatte, dahin. Sein letztes Bild: Ein Mann kniet vor einer Christusstatue. Der Glaube bleibt, wie Isso sagt.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: