Gastkommentar:Auch Jesus war ein Flüchtling

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Pater Reinhard Gesing. (Foto: Manfred Neubauer)

Warum wir barmherzig sein sollen. Von Pater Reinhard Gesing

"Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge" (Lk 2,7). Der Evangelist Lukas überliefert uns im Weihnachtsevangelium diesen kurzen Hinweis von der Herbergssuche des jungen Paares Josef und seiner schwangeren Frau Maria. Er beflügelt seitdem die fromme Fantasie.

Dramatisch wird in den Krippenspielen dieser Tage ausgemalt, wie das Paar aus Nazareth im fremden Betlehem verzweifelt von Tür zu Tür geht und um Obdach bittet, doch dabei auf Hartherzigkeit und Ablehnung stößt. Erst der letzte Wirt weist dem Paar eine ärmliche Unterkunft im Stall zu, damit der geboren werden kann, den wir Christen als Heiland und Retter bekennen. Herbergssuche damals. Damit noch nicht genug: Kaum war das Kind von Betlehem geboren, da musste seine Familie schon nach Ägypten fliehen, weil die Schergen des Königs Herodes ihm nach dem Leben trachteten. Der, dem wir als Christen folgen, war ursprünglich selber ein Flüchtlingskind! Haben wir das wirklich verinnerlicht?

Vor wenigen Wochen vor einem Supermarkt in Benediktbeuern: Auf dem Parkplatz wird ein junges Paar aus Eritrea abgesetzt, die Frau ebenfalls schwanger. Das Ziel, die Flüchtlingsunterkunft im Energiepavillon des Klosters, scheint der Fahrer nicht zu kennen. Es wird sich schon jemand kümmern. Hilflos und orientierungslos, der Sprache nicht mächtig, steht das junge Paar da. Gottlob kommt nach einiger Zeit jemand auf die Idee, im Kloster anzurufen: "Hier steht ein junges Flüchtlingspaar. Können Sie mal kommen?" Da wird die Weihnachtsbotschaft plötzlich sehr konkret: Herbergssuche heute.

60 Millionen Menschen sind zurzeit auf der Flucht vor Krieg, Terror und Gewalt oder vor einer aussichtslosen Zukunft. Eine Million Menschen suchen bei uns in Deutschland Zuflucht, so viele wie nie zuvor. Sie klopfen an unsere Türen und an die Türen unserer Herzen wie vor 2000 Jahren Josef und Maria in Betlehem. Millionenfache Herbergssuche.

Der, dessen Geburt wir zu Weihnachten feiern, Jesus Christus, identifizierte sich mit den Fremden und Obdachlosen aller Zeiten: "Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen" (Mt 25,35). Seine Jünger soll man daran erkennen, dass sie sich in ihren Herzen von der Not des Bruders und der Schwester berühren lassen und dass sie dem Notleidenden Barmherzigkeit erweisen, nicht nur, aber auch den Fremden und Obdachlosen. Papst Franziskus versteht es, in dieser Situation klare Worte zu sprechen. Schon öfter hat er eine "Globalisierung der Gleichgültigkeit" gegenüber den Schwachen diagnostiziert. Dabei hatte er auch die große Zahl der Flüchtlinge im Blick. Das Jahr 2016 hat er daher zum Jahr der Barmherzigkeit erklärt. Alle Menschen guten Willens ruft er auf zu einer "Globalisierung der Barmherzigkeit". Durch ihn ist diese, manchem Zeitgenossen verstaubt anmutende, aber zentrale christliche Tugend wieder in den Blickpunkt gerückt.

Eine Welt ohne Barmherzigkeit ist herzlos und kalt. Ohne Zweifel muss das Tun der Barmherzigkeit im Alltag begleitet sein von den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Klugheit. Aber wir brauchen keine Angst zu haben, zu barmherzig zu sein - eine Angst, wie sie viele Menschen bei uns zu bewegen scheint. Denn die Botschaft von Weihnachten sagt uns doch, dass uns in Jesus Christus "das Antlitz der Barmherzigkeit Gottes" (Papst Franziskus) begegnet. Ihm zu vertrauen, schenkt Mut und Tatkraft.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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