Gäste aus Italien in Geretsried:Festhalten an der EU

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Die Stadt empfängt eine Delegation aus Alano di Piave in Venetien zum interkommunalen Dialog

Von Wolfgang Schäl, Geretsried

Europa gerät immer tiefer in den Krisenmodus, auf der kommunalen Ebene aber sind die Beziehungen nach wie vor eng verflochten, funktionsfähig und von Freundschaft geprägt - das hat sich jetzt einmal mehr beim Besuch einer italienischen Delegation in Geretsried gezeigt. Seit 1986 existieren Kontakte mit Alano di Piave, einem Ort mit knapp 3000 Einwohnern in der Region Venetien. Zusammengefunden haben sich der Geretsrieder Verband der Deutschen Bundeswehr-Reservisten und die "Alpinis", italienische Gebirgsjäger, also zwei Verbände mit militärischem Hintergrund. Weil die Beziehungen seit 2005 auch offiziellen Charakter haben, sind beide Gemeinden übereingekommen, mindestens einmal im Jahr eine gemeinsame Veranstaltung durchzuführen, im Wechsel jeweils in Deutschland und in Italien, mit dem erklärten Ziel, auf kommunaler Ebene den europäischen Friedens- und Einigungsprozess zu fördern.

Ausrichter des diesjährigen Treffens war die Stadt Geretsried, die im Rahmen des Waldsommerfestes ein umfängliches Programm erarbeitet und am Samstag einen "interkommunalen Dialog" mit den italienischen Freunden im Sitzungssaal des Rathauses angeboten hat. Wortführer waren Bürgermeister Michael Müller (CSU) und dessen italienische Amtskollegin Amalia Serenella Bogana, die beide die Geschichte ihrer Heimatstädte Revue passieren ließen - aufschlussreich vor allem für die jungen Gäste im Rathaussaal.

Beide Gemeinden hatten auf verschiedene Weise mit Krieg und Vertreibung zu tun: Alano di Piave geriet im Ersten Weltkrieg, im Konflikt zwischen Italien und Österreich-Ungarn, zwischen die Fronten, der Ort wurde total zerstört, die Bewohner mussten flüchten und kehrten erst Jahre später zurück. Derzeit ist die Wirtschaftslage nach Boganas Worten wieder schwierig, Betriebe mussten schließen, zunehmend habe man es mit Immigration zu tun, insbesondere aus China, Marokko und Ländern Osteuropas. Dabei handle es sich in erster Linie nicht um Flüchtlinge, sondern um Wirtschaftsmigranten - eine Entwicklung, die zu einer Spaltung nicht nur in Alano di Piave, sondern in ganz Italien geführt habe. Mittlerweile nutze man die Chancen, die sich im Tourismus dank der Nähe der Dolomiten auftun. Müller verwies auf die Geschichte der beiden Rüstungswerke im Zweiten Weltkrieg, auf die vielen Zwangsarbeiter und Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die nach Kriegsende in Geretsried zunächst in den ehemaligen Zwangsarbeiterbaracken untergebracht und versorgt werden mussten. So sei Geretsried in kurzer Zeit auf 17 000 Einwohner angewachsen. Müllers Credo zur EU: Man könne sich ja über den ominösen Krümmungsradius der Gurke ärgern, dies aber sei immer noch besser als aufeinander zu schießen.

Auf die Reibungspunkte und Schwierigkeiten, mit denen es die EU heute zu tun habe, verwies Landrat Josef Niedermaier (FW). Europa als große Wertegemeinschaft sei weltweit nach wie vor erfolgreich und habe sieben Jahrzehnte lang ein friedliches Zusammenleben gewährleistet. Umso beunruhigender sei es, dass einige EU-Länder dies nun in Frage stellten. "Was uns zusammenhalten muss, sind die Urzellen der Gemeinden", sagte der Landrat, der dafür plädierte, sich angesichts der erkennbaren Grenzen der Mobilität verstärkt auf regionale Wirtschaftskreisläufe zu besinnen und auf unsinnige Warentransporte zu verzichten. Von den Flüchtlingsproblemen sei Italien am stärksten betroffen, da hätten die anderen EU-Länder zu wenig getan. Niedermaiers Fazit: Den Frieden könne man nur erhalten, "wenn alle gleich vom Wohlstand profitieren".

Allgemein bedauert wurde die schwer überwindbare Sprachbarriere: Esperanto sei nur ein Experiment gewesen, diese Funktion habe das Englische übernommen. Nach dem Brexit werde es aber kein EU-Land mit Englisch als Hauptsprache mehr geben. Eine unmittelbare Verständigungsmöglichkeit bestehe auf der Ebene der Musik.

Mit der Frage, was an Europa denn positiv sei, wandte sich Müller am Ende an die Jüngsten in der Gesprächsrunde, die etwas überrascht und verlegen reagierten. Genannt wurden die Vorteile der Interrail-Tickets, die wesentlich besser seien als früher, sowie die Möglichkeit, auf kurzem Weg Gedanken und Informationen auszutauschen. Wichtig sei auch der Sport. Eine EU mit Grenzen könne man sich jedenfalls nicht vorstellen, waren sich die Jugendlichen einig.

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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