Gabriel-von-Seidl-Gymnasium:Ambitioniert

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Die Theatermacher gestalten ihr Stück bunt und revueartig. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Tanztheater inszeniert das Stück "Der Hexenmeister" und reichert es mit viel Stoff zum Nachdenken an

Von Paul Schäufele, Bad Tölz

Als der junge Goethe sich an den Fauststoff heranwagte, war der keine Neuheit mehr, sondern auf europäischen Bühnen und in Bücherregalen breit vertreten. Das Projekt wurde für ihn eine Art Spielwiese, er hat mit der Sage experimentiert, sie angereichert, verfremdet, arrangiert, kombiniert. In "Der Hexenmeister", dem Tanztheater des Tölzer Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums und der Sing- und Musikschule, konnten die etwa 120 Schülerinnen und Schüler ihre Experimentierfreude auf der Bühne des Tölzer Kurhauses ausleben. Das Stück hatte am Dienstagabend Premiere.

Basierend auf einem Stück von Matthias Weißert - der seinerseits die Holberg-Komödie "Jean de France" zur Vorlage hatte - erstellte ein dreiköpfiges Team um Susanne Molendo, Stefanie Regus und Christina Strobel die Rohfassung des Stücks. Doch "Wesentliches haben die Schüler selbst beigetragen", sagte Regus. Auch die Musik zum Stück entstand in Teamarbeit. Das Produkt ist ein Bühnenspektakel im Wortsinn: Ein Fest für Augen (und Ohren), mal grell, mal düster, munter Zitate und Anspielungen kombinierend.

Ein wenig Orientierung verschafft da die Rahmenhandlung: Leander (Marc Schröder) macht mit seiner Schauspieltruppe Halt in irgendeiner oberbayerischen Kleinstadt (die Kulisse lässt das völlig offen). Bei Proben zu Goethes "Faust. Der Tragödie erster Teil" geht es wild zu. Vier Klatschtanten beobachten die Auftrittsszene Mephistopheles' durchs Fenster und wähnen den Leibhaftigen in ihrem Örtlein oder zumindest einen Stellvertreter, den "Hexenmeister".

Bekanntlich verbreitet sich nichts so schnell wie ein Gerücht, und deshalb fürchtet die Provinz-Gesellschaft bald den so harm- wie mittellosen Leander wegen seiner angeblichen satanischen Umtriebe. Neu in der Stadt und ausgegrenzt von deren Bürgern - Leanders Geschichte ließe sich als traurige Parabel vom Umgang mit Fremden erzählen. Doch gewinnt die Story hier Vielschichtigkeit durch die einfache Feststellung, dass auch Künstler essen müssen und die Einnahmen eines fahrenden Schauspieldirektors dazu nicht reichen. Der Hexenmeister lässt sich von der neugewonnenen Machtposition verführen und verdient sich durch listige Tricksereien etwas dazu.

Auf seinem Weg vom Ausgestoßensein über Korruption und den anschließenden juristischen Prozess wird er begleitet von einer Vielzahl bizarrer Figuren, die sein Schicksal konterkarieren und kommentieren. So etwa der Pseudo-Franzose Jean de France (Jawed Mohammadi), der wie Leander eine Fremdheitserfahrung macht, doch immerhin bei den Damen gut ankommt. Oder die hinreißend komische Stadtwache, schreckhaft, aber traditionsbewusst.

Das Tanztheater-Team gestaltet seine Vorstellungen mit dem erklärten Ziel, das Publikum mit Fragen zu konfrontieren, die auf der Bühne so bunt und revueartig erscheinen wie im "Hexenmeister", auf gesellschaftlicher Ebene jedoch echte Brisanz besitzen. Und so wird der Bühnenraum immer wieder in den Zuschauerraum erweitert. Schauspieler kommen vom Parkett auf die Bühne, sprechen vom Balkon herunter, wenden sich direkt ans Publikum, und die effektvolle Beleuchtung verbindet die sonst getrennten Bereiche. Auch die Musik des sechsköpfigen Ensembles der Musikschule trägt zum Illusionsbruch bei mit geschickten Samplings von Hard Rock zu Volksmusik, Abba zu Mussorgski.

In Verbindung mit Schauspiel, den herausragenden Tanzleistungen - auch komplexe Massenszenen werden bravourös gemeistert - und Schattentheater entsteht so ein Gesamtkunstwerk eigener Art. Nur gelegentlich fragt sich der Zuschauer, ob die Haupthandlung nicht auch hätte entlastet werden können. Zu zahlreich die Intermezzi und Kommentare. Doch Schule soll auch das sein: Ein Ort, der gesellschaftliche Reflexion stimuliert. Zu viel Ambition ist da kaum möglich. Tosender Schlussapplaus im ausverkauften Haus.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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