Finale in Icking:Musik gewordene Tränen

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Einfach Musik machen: Andreas Arnold (links) und Ecco Meineke sind Meister auf diesem Gebiet. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die "Shtetlmusikanten" Andreas Arnold und Ecco Meineke lassen den Theatersommer unterm Apfelbaum ausklingen

Von Paul Schäufele, Icking

Hundert Arten zu weinen, so könnte man Klezmer charakterisieren, die traditionelle Festmusik der aschkenasischen Juden, die sich nach ihrer Vertreibung aus den deutschsprachigen Gebieten in Osteuropa ansiedelten. Heulen vor Schmerz, stilles Weinen aus Trauer, aber auch glückliches Aufschluchzen kommen einem in den Sinn, wenn man dieser Musik lauscht. Andreas Arnold und Ecco Meineke lassen auf Klarinette und Gitarre diese beinahe untergegangene Musiktradition wieder aufleben und beglücken damit das Publikum der Ickinger Gesellschaft unterm Apfelbaum.

Das Duo nennt sich Shtetlmusikanten und verweist damit auf die historischen Zentren der Klezmermusik. Die Schtetlech waren die überwiegend jüdisch geprägten Dörfer und Kleinstädte im Osten Europas, die zum Melting Pot der musikalischen Stile wurden. Hier traf die Musik der deutschsprachigen Juden auf die Volksmusik slawischer und südosteuropäischer Völker. Aus dem geordneten Spiel des Westens und der Improvisationskunst des Ostens entwickelte sich eine ganz eigene, unverwechselbare Art des Musizierens. Die Shtetlmusikanten pflegen in ihren Konzerten seit mehr als zwanzig Jahren diese Tradition der Klezmorim, in denen sich tausend Jahre jüdischer Musikgeschichte spiegeln. So kompliziert würden die beiden das aber nicht ausdrücken. Sie machen einfach Musik.

Und das machen sie wunderbar, auf die denkbar einfachste Weise. Zwei sitzen auf der Bühne, in einem abendlich kühlen Garten vor spektakulärer Bergkulisse; der eine lässt seine Klarinette singen, der andere begleitet auf der Gitarre. Es dauert keine zwei Takte und jeder weiß, mit welcher Musik er es hier zu tun hat. Das Anschleifen der Töne, das Trillern und die Glissandi, das gelegentliche Kieksen und Glucksen, das aus der Klarinette tönt, sind unverkennbar, auch wenn die Zeit der "originalen" Klezmorim mit der Zerstörung der ostjüdischen Gemeinden längst vorbei ist. Doch die in alten Aufnahmen und Schriften sowie mittlerweile auch durch musikethnologische Forschung dokumentierte Kunst ahmt das Duo aufs Schönste nach.

Die Vielseitigkeit, mit der Arnold sein Instrument zum Klingen bringt, macht Freude - zwischen hellem Gesang und dunklem Murmeln. Oft ist der Klang nicht klassisch rein, doch die Nebengeräusche gehören unbedingt dazu, es ist lebendiges, immer erzählendes Spiel. Musikalisch erzählt wird von den vierwöchigen Hochzeitsfesten, von alten Tänzen, den Schwierigkeiten des Zusammenlebens von Mann und Frau, den großen und den kleinen Krisen der Schtetlech. Entsprechend vielfältig sind die ausgewählten Stücke: ein ausgelassener "Frejlach", ein temperamentvoller Rundtanz, Bulgar genannt, wechseln sich ab mit nachdenklichen Balladen. Dazu kommen melancholische Melodien wie die des Klezmer-Klassikers "Roszinkes mit Mandeln", der den Handelsalltag im Schtetl aufgreift, oder der bewegende Epitaph, den Meineke im Klezmer-Stil selbst komponiert hat. Er ist einem der letzten Überlebenden von Dachau gewidmet, mit dem das Duo befreundet war.

Dass die Shtetlmusikanten schon eine Weile Botschafter dieser Musik sind, zeigt sich dann zum Beispiel in einer Doina, einem Genre vermutlich rumänischer Herkunft. Das Stück ist fast ganz improvisiert, was bei diesem Team mit größtmöglicher Leichtigkeit abläuft. Die Shtetlmusikanten auf der Bühne - das ist die personifizierte Lässigkeit. Einfach Musik machen: Das ist das erklärte Ziel der beiden. So sagt es auch Meineke, der als Conférencier durch den Abend führt, historische Hintergründe darstellt, aber vor allem einen Eindruck vermitteln möchte von der Welt des Schtetls. Das tut er mit den schrägen jüdischen Witzen oder grotesken Wundermärchen, quasi mit Augenzwinkern vorgetragenen Gottesbeweisen.

Auf unterhaltsame Weise gewinnen die Zuhörerinnen und Zuhörer so einen Einblick ins jüdische Leben der Vergangenheit, einem Leben, in dem Tränen eine große Rolle spielten. Und weil im Schtetl alles zu Musik wurde, endet der Abend mit der Bitte: "Shpil zhe mir a lidele af yidish" - spiel mir noch was von dieser Klezmer-Musik. Dem kommt das Duo in einer Zugabe gerne nach.

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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