Prozess wegen fahrlässiger Tötung:Leise Töne vor Gericht

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Ein 19-Jähriger fährt einen Familienvater tot und kämpft während des Prozesses mit den Tränen. Der Richter spricht ein umsichtig begründetes Urteil.

Bernhard Lohr

Der 19-jährige Angeklagte wischt sich mit der rechten Hand eine Träne aus dem Auge. Kurz darauf macht sein Vater eine ähnliche Geste, als er vor seinem Sohn kniet und mit ihm flüstert. Er versucht ihm in einer Verhandlungspause offensichtlich Mut zuzusprechen und ringt doch selbst um Fassung.

In einer engen Kurve kam der Angeklagte auf die Gegenfahrbahn und erfasste den Radfahrer. Der starb noch an der Unfallstelle. (Foto: dpa)

Der jugendliche, gelernte Maschinenbauer aus dem nördlichen Landkreis muss sich wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht verantworten. Er war am 9. Juli 2011 mit seinem Auto bei Sankt Heinrich zu schnell in eine enge Kurve gefahren. Er kam dabei auf die Gegenfahrbahn und erfasste einen entgegenkommenden Radfahrer. Der 42-jährige Familienvater starb noch an der Unfallstelle.

Es ist eine Gerichtsverhandlung der leisen Töne. Die Staatsanwältin verzichtet auf scharfe Worte, wie sie sonst von Anklagevertretern zu hören sind. Und der nach vorne auf den Tisch gebeugte und starr vor sich hin schauende Angeklagte selbst ist bei seinen Aussagen sowieso kaum zu vernehmen. Er könne sich an den Unfall selbst nicht mehr erinnern, sagt er. Er wisse nur noch, wie er hinterher neben seinem Auto gestanden habe. Dass er zu schnell gefahren ist an diesem Samstagvormittag, bestreitet er nicht.

Ein Sachverständiger hat in einem Gutachten herausgearbeitet, dass der junge Fahranfänger, der den Führerschein noch auf Probe hatte, mit mindestens 80 Stundenkilometern auf feuchter und schmutziger Straße in die Kurve gefahren ist. Bei angepasster Fahrweise wäre der Unfall vermeidbar gewesen, so die Feststellung des Fachmanns. "Mir tut es einfach furchtbar leid", sagt der bei seinen Eltern wohnende Angeklagte, "ich täte es gerne rückgängig machen, wenn ich könnte." Oft steckt Alkohol hinter solchen Unfällen. Diesmal war er nicht im Spiel. Der 19-Jährige war an dem Tag nüchtern.

Amtsrichter Johann Lupperger sagt es vor den Eltern des Angeklagten und der anwesenden Witwe ganz offen: Das Gericht stoße bei einem solchen Fall an Grenzen. Der Versuch sei eben, die Sache juristisch so weit wie möglich aufzuarbeiten. Das geschieht dann auch relativ schmerzlos. Verteidiger Manfred Fuchs, die Staatsanwältin und der Vertreter der Nebenklage gehen mit dem Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe kurz vor den Gerichtssaal, beraten sich und einigen sich darauf, dass der 19-Jährige nach Jugendstrafrecht zu verurteilen ist.

Er soll 1000 Euro Schmerzensgeld an die Witwe und den heute sechsjährigen Buben bezahlen, der seinen Vater verloren hat; dazu 2000 Euro für soziale Trainingskurse, die für straffällig gewordene Jugendliche angeboten werden. Selbst soll der 19-Jährige zudem 64 Sozialstunden leisten. Richter Lupperger übernimmt das später dann auch so in sein Urteil. In einem Punkt ist er sich mit der Staatsanwältin nicht einig: Eine Führerschein-Sperre hält er für unangebracht.

Er hätte damals wissen müssen, dass er zu schnell unterwegs gewesen sei, redet Lupperger dem Maschinenbauer ins Gewissen. Die Kurve sei ihm nicht unbekannt gewesen. Er hätte mit dem Radfahrer rechnen müssen. Und doch sieht er auch mildernde Umstände. Er sei mit Tempo 80 keineswegs so gerast, wie es auf dieser Strecke manchmal auch vorkomme. Eigentlich seien sogar 100 Stundenkilometer erlaubt. Er habe sein fahrerisches Können schlicht überschätzt.

© SZ vom 05.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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