Europawahl im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:Eine Uni im Brexit-Wahn

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Der Ickinger Sebastian d'Huc studiert an einem renommierten College in Oxford Philiosophie, Politik und Wirtschaft. Der geplante Brexit verunsichert den 19-Jährigen genauso wie viele internationale Professoren, hält ihn aber nicht vom Lernen ab.

Von Anja Brandstäter, Icking

"Ich wünsche mir die Vereinigten Staaten von Europa", sagt der 19-jährige Sebastian d'Huc aus Icking, der derzeit an dem renommierten Corpus Christi College in Oxford studiert. Dabei verhält er sich wie ein vorbildlicher Europäer und geht in die "Fremde", um dort Erfahrungen zu sammeln. Bequem hat er es sich nicht gemacht. Schließlich ist das Aufnahmeverfahren, das er an dem englischen College durchlaufen musste, ein anspruchsvolles. Aber hier gibt es die Fächerkombination, die er sich gewünscht hatte: Philosophie, Politik und Wirtschaft.

In Großbritannien schreiben sich die Studenten in einem zentral organisierten Anmeldeportal, das UCAS genannt wird, für ihr Studienfach ein. "So etwas würde ich mir in Deutschland auch wünschen", sagt d'Huc und fügt hinzu: "In Deutschland bewerben sich Studenten meist an mehreren Universitäten, werden dann von einer Universität akzeptiert und melden sich bei den anderen wieder ab." Weiterhin verlangte das Corpus Christi College von Sebastian d'Huc eine Lehrer-Referenz und ein persönliches, einseitiges Statement, warum er sich für die Universität und das Fach für geeignet hält. Später unterzog er sich noch einem "Thinking Skills Assessment"-Test, durchgeführt vom Cambridge-Institut in München. Hier ging es darum, alle Bewerber weltweit in einem einzigen Test vergleichbar machen zu können. Später wurde er zu Interviews nach Oxford eingeladen. Dort nahmen ihn vier Professoren dann genau unter die Lupe - und nahmen ihn schließlich auf.

Im Oktober vergangenen Jahres bezog Sebastian d'Huc sein Zimmer auf dem Campus in Oxford. Es ist klein, hat große Fenster und ein Bad. "Ich habe hier alles was ich brauche", sagt er. "Und das ist nicht besonders viel." Verpflegt werden die Studenten in der Mensa des Colleges. "Das Essen schmeckt gut", erzählt er - auch wenn es "etwas wenig gewürzt" sei. "Die erste Woche war noch ganz entspannt", berichtet Sebastian d'Huc. "Der Ablauf wird einem sehr schnell beigebracht. Hier arbeiten so viele motivierte und unglaublich nette Menschen."

Ferienentspannung an der Loisach: Sebatian d'Huc studiert am renommierten Corpus Christi College in Oxford, Großbritannien. Dort muss er jede Woche drei Essays schreiben, deren Thesen er dann vor seinen Professoren verteidigen muss. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die im 12. Jahrhundert gegründete Universität beheimatet insgesamt 38 Colleges. Das sind verschiedene Institutionen, die kleinen Universitäten gleichen, mit jeweils ein paar hundert Studenten. "In meinem College-Jahrgang gibt es 70 bis 80 Studierende. Mit mir haben fünf weitere die gleiche Fächerkombination, und die 18 Studierenden in den insgesamt drei Jahrgängen werden von sechs Professoren betreut", erklärt der 19-Jährige. "Dieses sehr enge Betreuungsverhältnis ist das Besondere hier in Oxford."

Wie in Deutschland gibt es aber auch Vorlesungen mit hunderten von Teilnehmern. Sebastian d'Huc hat im ersten Jahr pro Woche neun Vorlesungen, die jeweils eine Stunde dauern. Weitaus intensiver sind die Tutorien. Zwei bis drei Studenten treffen auf einen Professor. Für die Tutorien müssen die Studierenden jeweils fünf- bis sechsseitige Essays vorbereiten, die sie am Tag zuvor bei ihrem Professor abgeben. Während der Stunde greift der Professor die Thesen seiner Studenten an, die wiederum müssen sie verteidigen. Von diesen Tutorien hat Sebastian drei pro Woche. "Wir lernen zu argumentieren", sagt d'Huc. Das Schreiben dieser Essays verschlingt seine meiste Zeit. Auch die Wochenenden sind damit gut ausgefüllt. Dennoch haben die jungen Menschen immer die Möglichkeit, an den 90 verschiedenen Sportarten, die die Universität anbietet, teilzunehmen. "Es ist toll und macht viel Spaß", sagt d'Huc über sein Studium in England. "Die Professoren sind nett und fragen auch mal, wie es einem geht. Überhaupt ist der Umgang untereinander sehr persönlich. Ich kann viel besser lernen, wenn ich jemanden sofort fragen kann. Die Experten sind hier auf einem Haufen." D'Hucs Philosophie-Professor ist zum Beispiel der Amerikaner und Heidegger-Spezialist Mark Wrathall. Die Professoren kommen aus der ganzen Welt und haben ihr Leben in Oxford aufgebaut.

Ein Damoklesschwert lastet jedoch auf dem Lehrbetrieb. Schließlich weiß keiner, ob und wann der Brexit kommt und welche Auswirkungen er auf die Eliteuniversität haben wird. Auch die Vize-Kanzlerin, Louise Mary Richardson, weiß es nicht. Die irische Politikwissenschaftlerin tut alles, um den Lehrbetrieb ungestört aufrecht zu erhalten.

"Natürlich machen wir uns Gedanken über den Brexit und über Europa", sagt Sebastian d'Huc. "Ich persönlich sehe ein vereinigtes Europa sehr positiv. Die Staaten dieses Kontinents haben eine 2000 Jahre lange gemeinsame Geschichte, mit freudvollen und leidvollen Episoden. Heutzutage sind wir nicht nur eine Wirtschafts-, sondern eine Wertegemeinschaft. Die Kernursache der Probleme der EU ist meiner Meinung jedoch, dass die einzelnen Staaten nicht eng genug miteinander verbunden sind und nicht genug ihrer Befugnisse an die EU abgeben. Dass sie nicht integriert genug sind."

(Foto: N/A)

Dabei gehen ihm die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht weit genug. "Die einzelnen Staaten vertreten immer noch viel zu sehr ihre eigenen Interessen", glaubt der Ickinger. "Von einem Kommunalinteresse ist die EU noch weit entfernt. 28 Einzelinteressen zusammen zu bringen, schafft noch kein Gemeinschaftsinteresse", sagt er und fügt hinzu: "Es sollte unser Anliegen sein, die EU komplett zu einem wirklichen Staat mit einer echten, sich vollumfänglich verantwortlich fühlenden Regierung umzubauen und damit ein starkes Gewicht gegenüber China, Indien und den USA zu bilden. Europa muss handlungsfähiger werden", argumentiert er. Wichtig sind ihm faire Löhne und Zugang zu kulturellen Einrichtungen für alle.

"Ich glaube, dass sich viel mehr Menschen für die Europawahl im Mai interessieren als noch vor fünf Jahren", sagt Sebastian d'Huc. Er verstehe aber auch die EU-Verdrossenheit vieler Bürger. Die Europäische Union sei eben auch ein "institutionelles Kuddelmuddel". Dabei gelinge es den Politikern nicht, die Errungenschaften besser zu kommunizieren, wie die Möglichkeit, überall zu leben und zu arbeiten. Ganz im Gegenteil: Die EU werde von nationalen Politikern gerne als Sündenbock vorgeschoben, sobald Probleme auftauchten, sagt der Student. Als Beispiel nennt er die Flüchtlingsthematik: "Gerade in Osteuropa wurde die EU oft wegen der Flüchtlingspolitik dämonisiert. Dabei sind die Probleme, die es mit den Flüchtlingen zweifellos auch gibt, doch auf etwas ganz anderes zurückzuführen", so d'Huc. "Die Flüchtlinge wurden nicht sofort in Lohn und Brot gesetzt, integriert, zu Sprachkursen zugelassen oder anderweitig ausgebildet, sondern stattdessen einfach irgendwo untergebracht", erläutert er. "All dies zu bewerkstelligen, wäre Aufgabe der Nationalregierungen gewesen. Stattdessen hat man sie praktisch geparkt. Natürlich machen Menschen, die keine Aufgabe oder Perspektive und massive Sorgen um ihre Zukunft haben, auch manchmal Probleme. Dieses eigene Versagen auf die EU zu schieben, weil sie ihrer humanitären Pflicht nachkommt und politisch Verfolgten Schutz gewährt, ist einfach billiger Populismus."

Für d'Huc ist die EU "eine Regierung ohne Volk", wie er sagt: "Sie nimmt sich als Vertreter ihrer 28 Mitgliedsstaaten wahr und nicht als Vertreter von 510 Millionen Bürgern, der sie eigentlich sein müsste." Es brauche jedoch "eine europäische Identität über alle sozialen Schichten hinweg", auf die jeder stolz sein könne. "Wir müssen uns als Europäer fühlen." Um diesem Ziel näher zu kommen, schlägt d'Huc ein soziales Jahr für alle jungen Bürger vor, in dem sie jeweils in einem anderen europäischen Land leben und arbeiten. Das könne dann auch im Rahmen einer noch zu schaffenden Europäischen Armee abgeleistet werden. So könnten die jungen Menschen erkennen, wie bereichernd ein geeintes Europa sei, ist Sebastian d'Huc überzeugt.

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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