Eurasburg:Yusif kann wieder sehen

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Ein junger afghanischer Asylsuchender bewältigt seine Flucht, obwohl er fast blind ist. In Deutschland rettet ihm eine Transplantation das Augenlicht.

Von Felicitas Amler, Eurasburg

Es ist eine dieser erschütternden Erzählungen einer langen, strapaziösen Flucht. Und doch ist es noch mehr. Ein junger afghanischer Mann, als Koch bei der Polizei beschäftigt, hat seine Eltern verloren. Sie wurden bei einem Raketenangriff getötet. Er selbst wird von Taliban bedroht, muss holterdipolter sein Land verlassen. Über den Iran macht er sich auf den Weg in die Türkei, zu Fuß, ohne Proviant, allein, immer in Angst, immer wieder zusammenbrechend, durch Schnee. Auf einer Etappe waren es 15 oder 17 Stunden am Stück, so ganz genau kann er das nicht mehr sagen, aber dass sich auch schwangere Frauen dahinschleppten und dass am Wegesrand gelegentlich Tote lagen, daran erinnert er sich. Yusif heißt der junge Mann. Heute ist er 21 Jahre alt. Und er sieht ein wenig besser als damals. Denn auf seiner Flucht war er schon fast erblindet. Und hat sie dennoch geschafft.

Yusif lebt in Eurasburg, er wird von den dortigen Flüchtlingshelfern betreut. Von Sabine Turpeinen zum Beispiel. Die wunderte sich zunächst im ehrenamtlichen Deutschunterricht, warum er nicht las und nicht schrieb; dachte, er sei wohl Analphabet. Bis sich endlich herausstellte, dass Yusif fast nichts mehr sehen konnte. Er leidet an einer Hornhautverkrümmung, einer Erkrankung des Auges, die gut zu behandeln ist - wenn sie richtig behandelt wird. Yusif aber ist in Indien und Pakistan zweimal falsch operiert worden. Er sah nicht nur fast nichts, er hatte - und hat teils heute noch - schreckliche Schmerzen, die ihm den Schlaf rauben. Er spricht wenig, aber davon erzählt er.

Die Flüchtlingshelfer brachten Yusif in Wolfratshausen zur Augenärztin, weil sie glaubten, eine Brille könnte helfen. Die Ärztin sagte, nein, der Junge muss in die Augenklinik. Dort wurde diagnostiziert: Yusif braucht eine Hornhauttransplantation. "Dann war erst mal Feierabend", sagt Sabine Turpeinen. Denn wie sollte eine so große, teure Operation zu bewältigen sein? Über Freunde machten die Helfer einen Augenarzt in Solln ausfindig, der bereit war zur Transplantation an einem Auge. Er schrieb ein Attest fürs Landratsamt, das für die Kosten der medizinischen Versorgung Asylsuchender zuständig ist: Wenn der junge afghanische Mann nicht bald operiert werde, so lautete es, dann werde er erblinden. Der Eingriff koste rund 6000 Euro. Die Antwort aus der Behörde: Abgelehnt.

Und dann folgte, was Ursula Goepfert einen "langen, harten Kampf" nennt. Die Steuerberaterin und Vorsitzende des gemeinnützigen karitativen Vereins T.U.N. in Beuerberg hat diesen Kampf erfolgreich geführt. Einwände, man könne doch nicht für einen Flüchtling, der womöglich sogar wieder abgeschoben werde, so viel Geld ausgeben, weist sie mit wohl überlegter Bestimmtheit zurück. Die Transplantation einer Hornhaut für den jungen Afghanen sei "volkswirtschaftlich sinnvoll und ethisch geboten", sagt sie. Man könne jemanden, der bettelarm sei, nicht mit 21 Jahren erblinden lassen. "Mitleid ist das einzige, was uns vom Tier unterscheidet. Es ist ein Zeichen unserer Kultur." Soweit die ethische Perspektive. Und die volkswirtschaftliche: Egal ob es um einen Flüchtling oder einen Einheimischen gehe - es sei dumm, auf einen jungen Menschen zu verzichten, sagt Goepfert. Yusif zum Beispiel sei gelernter Koch, er könne hier arbeiten und in das Sozialsystem einzahlen. Sollte er hingegen dableiben dürfen, ohne operiert zu werden, sollte er also erblinden, könnte er nicht arbeiten, und das Sozialsystem müsse auf Lebenszeit für ihn aufkommen. Und wenn er abgeschoben würde? "Ich kann doch keinen Blinden in dieses Land zurückschicken!", sagt Goepfert.

Irgendwann sind diese Argumente bei jenen Behörden-Mitarbeitern angekommen, die über die Bewilligung der Kostenübernahme zu entscheiden hatten. Relativ schnell bekam Yusif dann ein Spenderorgan und wurde operiert. In einem langsamen Prozess besserte sich sein Augenlicht, aber erst nachdem ihm auch noch eine Brille angepasst wurde, konnte er tatsächlich sehen. "Es war ein toller Moment", erinnert sich Sabine Turpeinen. Im Behandlungszimmer des Augenarztes hing an der Wand eine der üblichen Lesetafeln: "Und plötzlich hat Yusif die obersten drei Zeilen flüssig gelesen."

Inzwischen hat der junge Afghane, der eine Qualifikation am Beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft (bfz) in Wolfratshausen absolviert, eine Praktikumsstelle als Koch in einer Wolfratshauser Gaststätte. Und einen Behindertenausweis. Als Grad der Behinderung - ein Maßstab, der von 20 in Zehnerschritten bis 100 geht - sei darin 90 angegeben. "Das heißt schwerbehindert auch mit der Sehstärke nach der Operation", sagt Turpeinen. "Es ist uns ein Rätsel, wie er damit so gut zurechtkommt."

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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