Ein "Lehards-Abend" ohne jede Tümelei:Ein Stamperl auf die Usch!

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Beim Tölzer Kulturverein "Lust" erzählt die 95 Jahre alte Ursula Hueber von Bräuchen und Traditionen rund um die Leonhardifahrt.

Von Wolfgang Schäl, Bad Tölz

Der Star des Abends ist unbestritten Ursula Hueber, genannt "Meßmer Usch", auch wenn bei ihr die Beine nicht mehr so mittun. Schließlich wird die betagte Wackersbergerin demnächst 96, und so müssen ihr beim Lehards-Abend des Tölzer Kulturvereins "Lust" zwei kräftige Männer auf die Bühne helfen - eine mehr als lohnende Anstrengung. Denn so schwierig es bei der Usch mit dem Gehen ist: Der Kopf funktioniert noch tadellos, sie weiß Gedichtstrophen ausladend aus dem Stegreif zu memorieren, und den Humor hat sie mit den Jahren auch nicht verloren.

Schon mit ihrem verschmitzten "Griaß Gott beinand" hat sie am Sonntagabend die Herzen der dicht gedrängt sitzenden Gäste in der Alten Madlschule erobert. Ihre frische Präsenz hätte sie beim neunten Lehards-Abend allein schon unentbehrlich gemacht, denn unbairisch formuliert ist sie ein Original. Sie ist aber auch eine wertvolle Zeitzeugin und weiß allerlei an interessanten und amüsanten Details über die ersten Nachkriegs-Leonhardifahrten in den Zwanzigerjahren zu berichten. Sie ist schlicht der älteste Mensch im Isarwinkel, der sich noch an den Neubeginn der Tölzer Traditionsveranstaltung erinnern kann. Und schließlich hat Lehards ja auch in ihrem Privatleben eine Rolle gespielt. "Da hob i mein' Hochzeiter kenna g'lernt", verrät sie.

Ein reiner Zufall war das nicht, denn die ambitionierten jungen Herren durften sich bei den Damen ihrer Wahl damals wie heute ein Stamperl abholen, und wenn der Auftritt des jungen Bewerbers überzeugend war, auch mal zwei oder drei. Besonders reizvoll war es für die Burschen, wenn die auf den Tafelwagen frierenden Mädchen die Röcke über die eiskalten Schultern legten und damit den Herren der Schöpfung anregende Ausblicke auf die darunter getragenen Bekleidungsschichten ermöglichten. Zur größten allgemeinen Heiterkeit demonstriert die betagte Usch dann auch gleich, wie man sich dies vorzustellen habe. Auch auf die Frage, warum denn die Damen immer hinten auf dem Wagen saßen und vorn Kinder, weiß sie eine einleuchtende Antwort: "Wahrscheinlich hot ma net so vui Jungfrauen zammbracht."

Als "Lust"-Moderator Christoph Schnitzer sich erkundigt, ob sie denn heute noch einmal gern mitfahren würde, übt sie sich in weiser Selbstbeschränkung. "Schaugn's, wenn i no net amoi alloa auf die Bühne naufkimm ..."

Was die Tölzer Theatergruppe im Vorfeld der Leonhardifahrt auf die Beine gestellt hat, war eine abendfüllende, anspruchsvolle Mixtur aus Kabarett, historischer Information anhand alter Bilder und Postkarten, aus Theater und Musik, ein Heimatabend ganz ohne Tümelei. Nicht alles war nur zum Schmunzeln. Bedrückend etwa wirkte die historische Geschichte "Der sterbende Krieger" des Heimatdichters Sepp Buchner, der nur 46 Jahre alt wurde und wichtige Kriegs- und Nachkriegsereignisse in Gedichtform verarbeitet hat. Daneben hat die "Lust"-Truppe aber auch lokal bezogene Themen im Programm. Besonders dankbar nahmen die Gäste das Thema Verkehrsstau und Umgehungsstraße auf, stark auf Tölz bezogen war auch der Auftritt eines "Überraschungsgastes" - der Kanzlerin (Susanne Pinkowski) die sich mit säuerlicher Miene, Einschlaf-Rhetorik und Merkel-Raute an die Gäste wandte. Ein kleines Meisterstück gelang Ludwig Retzer, der sich auf Thomas Manns Spuren heftete und fiktiv auf höchster Stilebene rezitierte, wie der Nobelpreisträger und Wahl-Tölzer wohl eine Leonhardifahrt beschrieben hätte. Wichtiger Bestandteil der Programmfolge war schließlich das Gitarren-Duo Sepp Kloiber und Hannes Janßen, zwei virtuose Musiker, die mit frechen Versen augenzwinkernd einen gelungenen Abend abrundeten.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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