Ebenhauser "Mariandl":Der Vorhang fällt

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Beim letzten Abend im Ebenhauser "Mariandl" begibt sich Karl-Otto Saur auf eine politische Schlagerreise durch das letzte Jahrhundert und zeigt, wie viel Zunder in den in amüsante Melodien verpackten Liedtexten der Zwanziger und Dreißiger Jahre steckt

Von Susanne Hauck, Ebenhausen

Diesmal ist es wirklich der letzte Abend im "Mariandl". Karl-Otto Saur macht aber nicht viel Aufhebens darum. Im Frühjahr hatte er einen Filmabend als Abschiedsvorstellung veranstalten wollen, nachdem er angekündigt hatte, seine Reihe "Kunst im Keller" aus Altersgründen einzustellen. Doch das Finale fiel wegen Grippe aus. Den Abend habe er "wegen der vielen Nachfragen würdig nachholen wollen", sagt Saur - und setzte das am Mittwoch um. Der Tag der Deutschen Einheit und die bevorstehenden Landtagswahlen inspirierten ihn zu einer Reise durch "Schlager und Politik" aus den vergangenen einhundert Jahren. "Raus mit den Männern aus dem Reichstag" heißt auch gleich das erste Lied.

Für Saur muss es allerdings heißen "Rein in den Gemeinderat". Will er sich auch von der Kulturreihe zurückziehen, auf den 74-jährigen Journalisten warten neue Aufgaben in der Lokalpolitik. Als Nachrücker für den unlängst verstorbenen Hans-Jürgen Heinrich ist er nun der einzige SPD-Vertreter im Schäftlarner Gemeinderat. Noch ein paar ironische Sätze zur Abwärtsfahrt der SPD, dann leitet er zum eigentlichen Teil des Abends über.

Mehr als 200 Mal hat "Kultur im Keller" stattgefunden, auch diesmal greift er zielsicher ein zeitgeschichtliches Thema heraus, das die meisten so noch nicht kennengelernt haben. Für "Schlager und Politik" bedient er allerdings kein altes Grammophon, sondern einen Computer. Der erste Ton erklingt, eine scheppernde Aufnahme von 1926, die Gäste ganz hinten in dem schlauchförmigen Kellergewölbe können kaum etwas verstehen. Saur gesteht, dass die Lautsprecher nicht angeschlossen sind. Enkel Jakob, sonst zuständig für die Bühnentechnik, sei ausgeflogen und habe in seiner Kiste nur zwei abgebrochene Mikrofone hinterlassen. Die Panne stört Saur nicht weiter, er macht souverän weiter, seine kräftige Stimme trägt auch bis in die letzte Reihe. Bei einigen Zuhörern ruft das Erinnerungen an den allerersten "Mariandl"-Abend wach, als der Deininger Regisseur Oliver Storz zu Gast war und zwischendurch wegen der technischen Unzulänglichkeiten entnervt in den Garten flüchtete.

Karl-Otto Saur (links) war 20 Jahre langVeranstalter und Gastgeber von "Kultur im Keller". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Zwölf ganz besondere Lieder hat Saur ausgesucht, zu denen er viel Wissenswertes ausgegraben hat, das nicht schon hundertmal durch die Mangel der Medien getrieben wurde. "Männer raus aus dem Reichstag", so tönt Claire Waldoff mit Berliner Schnauze. Ganz schön frech und emanzipatorisch für eine Chansonette, gerade mal acht Jahre, nachdem Frauen das Wahlrecht errungen hatten. Oder das "Hirschfeld-Lied", veröffentlicht von Couplet-Sänger Otto Reutter: Es erzählt von Dr. Magnus Hirschfeld, dem ersten deutschen Sexualforscher. Im Text wird offen auf die Homosexualität des skandalumwitterten Arztes angespielt, der Anfang des 20. Jahrhunderts praktizierte.

Nachbar Andreas hat sich zwischenzeitlich erbarmt und technisches Equipment geholt, jetzt funktionieren die Lautsprecher und auch die hinteren Reihen bekommen alles mit. Die Zuhörer staunen, wie frech und bissig die in unterhaltsame Melodien verpackten Texte sind, was sich die Autoren und Interpreten noch Anfang der Dreißigerjahre trauten - und welche politische Weitsicht sie besaßen. Im Rückblick fast ein Wunder, was damals noch auf Schallplatte gepresst und verkauft wurde. Vor allem, weil ja jeder weiß, wie es in Deutschland weiterging, wie schnell Andersdenkende nicht nur mundtot gemacht wurden. Bertolt Brecht etwa textete "Es ist ein langer Weg zum Dritten Reich", in dem er die Homosexualität und den Uniform-Fetischismus des SA-Führers Ernst Röhm verspottete. Annemarie Hase trällerte zu beschwingter Melodie den Text "An allem sind die Juden schuld". Damals konnte die Sängerin noch scharfzüngig die antisemitischen Vorurteile aufs Korn nehmen, so sind in dem Lied die Juden der Sündenbock für alles - auch wenn die Wurst nach Seife schmeckt und das Telefon wieder mal besetzt ist. Star-Texter Friedrich Hollaender hätte sich 1931 beim Schreiben wohl nicht vorstellen können, was aus dieser Einstellung wenig später werden würde.

Karl-Otto Saur improvisierte im ehemaligen Ebenhauser Kellerlokal "Mariandl" eine Bühne. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nur scheinbar harmlos, tatsächlich aber starker Tobak ist der Titel "Waren Sie schon mal in mich verliebt?". Die Schlager-Frage lässt nämlich Max Hansen, damals einer der beliebtesten Unterhaltungskünstler, niemand anderen als Adolf Hitler stellen und outet ihn im Verlauf als schwul und lächerlich. Hitler flirtet im Hofbräuhaus bei der fünften Mass Bier nämlich nicht etwa mit einer Frau, sondern mit einem Mann. Weiß Ferdl, Bruno Balz, die Comedian Harmonists, Jupp Schmitz und Peter Maffay mit Karat sind weitere Stationen des politisch-musikalischen Streifzugs.

20 Jahre lang war Karl-Otto Saur, langjähriger SZ-Redakteur und Leiter des Spiegel-Kulturressorts, Veranstalter und Gastgeber von "Kultur im Keller". Dafür improvisierte er im ehemaligen Ebenhauser Kellerlokal "Mariandl" eine Bühne für Filmabende und Lesungen. Man saß mit bekannten Schauspielern, Autoren, Musikern und Regisseuren auf Tuchfühlung, erlebte in intimer Atmosphäre besondere Abende. Im Publikum wird an diesem Mittwoch viel Bedauern laut, dass es wirklich der letzte Abend gewesen sein soll. Und viele spekulieren darauf, dass Saur in der Zukunft wenigstens ab und zu die Türen zum "Mariandl" wieder aufschließen möge.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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