Dietramszell:Familie Nahversorger

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Schon als Kinder halfen Kaspar März-Kastenmüller und Martina Müller im Kramerladen ihrer Tante Theresia Kastenmüller in Ascholding. Heute führt er einen großen Supermarkt im Ort und sie betreibet einen Bioladen auf der anderen Straßenseite.

Von Anja Brandstäter, Dietramszell

"Neun Pfenning hat früher eine Semmel gekostet", erinnert sich Theresia Kastenmüller. "Das waren noch Zeiten, als die Vertreter von Dallmayr kamen und den Laden dekorierten. Das große Fenster war immer für Suchard reserviert", erzählt die 93-Jährige. Und sie erinnert sich auch daran, dass der Vertreter des Süßwarenunternehmens bei seinen Besuchen in Ascholding oft Pralinen für sie dabei hatte.

Theresia Kastenmüllers Leben war die Krämerei mit der Backstube ihres Mannes Kaspar, die sich im hinteren Teil des Hauses befand. Das Geschäft existierte bis 1988. Bis heute sind die alten Holzeinbauten, die Theke und die Holzschubladen im historischen Laden funktionstüchtig. "Die Schubladen lassen sich noch so leicht aufziehen wie am ersten Tag", sagt Kastenmüller. In den Regalen befinden sich noch große Tee-Dosen und alte Bonbon-Gläser. Und auf der Theke steht die alte Waage. In dem Laden gab es alles für den täglichen Bedarf, sogar Textilien. "70 Jahre bin ich nun hier", sagt Kastenmüller.

"Früher haben die Produzenten uns und unsere Kunden zu einem Besuch ihres Unternehmens eingeladen", erzählt sie. Auf diese Weise besichtigten sie zum Beispiel ein Weingut in Südtirol. In den 1980er-Jahren änderten sich das Sortiment und die Kaufgewohnheiten. Ein Kühlregal wurde angeschafft. "Die Kunden wollten plötzlich Joghurt essen." Das Ehepaar blieb zwar kinderlos, der Laden jedoch zog die Nichte Martina und den Neffen Kaspar magisch an. Dort gab es Dinge, die sie gar nicht kannten, oder die es selten bei ihnen zu Hause gab, wie beispielsweise Schokolade. Auf historischen Fotos ist der kleine Kaspar mit dem Onkel zu sehen, als Jugendlicher steht er bereits hinter dem Tresen und hilft mit, die Kunden mit Waren zu versorgen. "Der Kaspar ist von allein gekommen", sagt Theresia Kastenmüller. Später adoptierte sie ihn.

"Kaspar Kastenmüller - Bäckerei und Krämerei" steht auf dem historischen Schild über dem Laden, der sich auf der rechten Seite des Hauses aus dem Jahr 1871 befindet. Wer schon einmal durch Ascholding gefahren ist, kommt an dem Haus an der Hauptstraße mit den grünblauen Fensterläden vorbei. Dort krümmt sich die Straße. Statt Lebensmittel stehen heute Töpfe mit Blumen in den beiden großen Schaufenstern. Denn die große Leidenschaft von Theresia Kastenmüller sind Pflanzen, was auch ihr gepflegter Garten vor dem Haus zeigt. Bald gedeihen neben den Blumen auch Gemüse und Kräuter, bis er im Sommer seine ganze Pracht zeigt.

1988, als der alte Laden schloss, eröffnete Neffe Kaspar im hinteren Teil des Anwesens eine Edeka-Filiale mit Wurst- und Käsetheke, einer großen Auswahl an Milchprodukten, Tiefkühlkost, frischem Gemüse und Obst. Damit hat er das Sortiment erheblich erweitert. Auch im neuen Geschäft war es üblich, anschreiben zu lassen, wenn die Kunden kein Geld dabei hatten. Doch obwohl viele Ascholdinger zum Einkaufen kamen und um einen Ratsch mit den Nachbarn zu halten, lohnte sich der Laden, in dem sich acht bis zehn Mitarbeiter um die Kundschaft kümmerten, schließlich nicht mehr. Zu viel Konkurrenz war durch die neuen Supermärkte der umliegenden Orte entstanden.

Das führte schließlich dazu, dass Kaspar März-Kastenmüller im Oktober 2020 im neu entstandenen Industriegebiet, am nördlichen Ortsrand von Ascholding, einen Vollsortiment-Edeka mit Post-Shop, Lotto-Annahmestelle und Selbstbedienungsbereich der Raiffeisenbank eröffnete. "Das ist ja viel zu groß", habe seine Tante Theresia Kastenmüller gesagt, als sie den riesigen Supermarkt gesehen habe, erzählt Kaspar März-Kastenmüller und lächelt. Mit allen Teilzeit- und Aushilfskräften beschäftigt er nun 40 Mitarbeiter.

Gleich neben dem Eingang auf der linken Seite im Café kann man noch in Nostalgie schwelgen, wenn man die historischen Fotos vom alten Laden der Tante betrachtet. Wie dieser einst soll auch das moderne Geschäft ein neuer Dorf-Treffpunkt werden, wenn es nach Kaspar März-Kastenmüller geht: "Wäre nicht Corona, könnten die Gäste schon heute draußen auf der Terrasse in der Sonne sitzen", sagt er. "Seit der Eröffnung wird der Supermarkt gut angenommen. Ich bin sehr zufrieden."

Auf der anderen Straßenseite befindet sich der Bio-Laden der Nichte von Theresia Kastenmüller. Martina Müller ist gelernte Landwirtin und hat den Hof ihrer Eltern übernommen. Zurzeit hält sie zwölf Kühe der Rasse Murnau-Werdenfelser, einer robusten alten Landrasse. Zwei Mal im Jahr wird geschlachtet. Seit 1988 hat sie auf biologische Landwirtschaft umgestellt. In einem offenen Laufstall können sich die Tiere mit ihren Kälbern frei bewegen. Aber nicht nur die Tierhaltung begeistert sie, sondern auch der biologische Gemüseanbau. Nach Demeter-Vorschriften bewirtschaftet sie einen Kartoffel- und einen Gemüseacker, auf dem Feldgemüse, wie zum Beispiel Karotten, Pastinaken, Rote Rüben oder verschiedene Kohlsorten wachsen. Ihr schwebe eine gesunde Kreislauf-Landwirtschaft vor, die das Grundwasser nicht belastet, sagt sie.

1990 fing Martina Müller ganz klein an, eigenes Gemüse zu verkaufen. Zehn Jahre später richtete sie einen kleinen Bio-Laden in der ehemaligen "Stubn" ihres Hauses ein. Die Einrichtung konnte sie einem Eglinger Bio-Laden abkaufen, der damals seine Pforten schloss. Das Sortiment ist trotz des begrenzten Raums umfangreich: Milchprodukte, Eier, Wurstwaren, Getreide, Säfte, Gewürze, Schokolade, Körperpflege- und Putzmittel. Für Obst und Gemüse hat sie die frühere Werkstatt umfunktioniert. Dort ist es kühl, die Kisten mit den Obst- und Gemüsesorten stehen auf Regalen bis zur Decke aufgereiht. "Das Sortiment hat sich erweitert, da Kunden nach bestimmten Waren gefragt haben. Auf diese Weise hat sich alles weiter entwickelt", sagt Martina Müller.

Viele Kunden kämen inzwischen mit ihren eigenen Gefäßen, damit kein Verpackungsmüll anfalle, berichtet sie. Die Corona-Pandemie tut dem kein Abbruch. Der Laden floriert. "Die Leute kochen mehr selber und sind zu Hause. Ich bin sehr zufrieden und es entstehen gute Gespräche", erzählt Müller. Viele Kunden würden sich gerne mehr einbringen. "Sie möchten wissen, wie man was anbaut", sagt sie. Mit den Corona-Vorschriften gebe es keine Probleme. Die Kunden warteten draußen, bis sie an der Reihe seien und hielten sich an den Mindestabstand. Der Laden ist an drei Tagen pro Woche geöffnet. In den Gewächshäusern sprießen bereits frischer Spinat und Radieschen.

© SZ vom 06.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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