Die letzten Kriegstage in Bad Tölz:In letzter Minute gerettet

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Zwei Katz berichtet vom Todesmarsch

Es ist ein verschwommenes Foto aus den letzten Kriegstagen. Ein Tölzer hat es vom ersten Stock eines Hauses in der Marktstraße aufgenommen und eine Szene festgehalten, die den Betrachter erschauern lässt. Eine Handvoll ausgemergelter Häftlinge aus dem KZ Dachau schleppt sich dahin, um sie herum bewaffnete Aufseher mit Gewehren. Vielleicht war unter ihnen auch der 17 Jahre alte Zwi Katz. Der aus Kaunas in Litauen stammende Autor beschrieb den Todesmarsch, der ihn nach Bad Tölz führte, später in Zeitungsartikeln.

Die kleine Gruppe jüdischer Häftlinge, in der er sich befand, hatte Anfang Mai 1945 auf einem Waldhügel nahe Wolfratshausen übernachtet. Während ihre ohnehin schwachen Kräfte immer mehr nachließen, wurden sie weiter nach Süden getrieben, an Königsdorf vorbei nach Tölz. Als ein vorbeifahrender Wagen den Elendszug in den Graben drängt und eine Durcheinander entsteht, gelingt dem 17-Jährigen die Flucht. "Ein Tritt ins Dunkle nach rechts und ich lasse mich fallen, versinke im tiefen Schnee", schreibt Katz. "Minuten verstreichen, wie eine Ewigkeit. Es ist still um mich geworden. Ich schaue auf, die Straße ist leer, und langsam schleiche ich mich an die Scheune." Doch seine Flucht misslingt wenig später. In einem Wäldchen stößt er plötzlich auf einen Wachposten und auf die Kolonne seiner Kameraden.

"Auf Tiefste niedergeschlagen" kommt Zwi Katz schließlich nach Bad Tölz und an der SS-Junkerschule vorbei. "Neue Wächter kommen hinzu, junge Kerle mit hassverzerrten Gesichtern und drohenden Blicken." Noch einmal gelingt es dem 17-Jährigen zu fliehen, indem er sich ans Ende des Elendszuges und in den Schnee fallen lässt. Er kriecht auf einen Stall zu, doch ein kleiner Junge sieht ihn und ruft: "Ein Verbrecher, ein Verbrecher." Zwei Feldgendarmen tauchen auf, lassen ihn aber laufen.

Zwi Katz kehrt zurück auf die Straße und taucht in einer Menschengruppe unter - deutsche Flüchtlinge mit Kinderwagen und Rucksäcken. Plötzlich schreit jemand von hinten: "Halt!" Zwei SS-Männer mit Totenkopf-Uniformen haben ihn entdeckt und wollen ihn erschießen. Die Umstehenden schließen jedoch einen Ring um ihn. "Der Krieg ist zu Ende. Lasst ihn laufen", sagen sie. "Unverhofft, in der letzten Minute habe ich plötzlich Verteidiger - und es sind Deutsche", berichtet Katz.

Später gelang es ihm, von Österreich auf Schleichwegen durch die Alpen nach Italien, von dort aus nach Israel zu kommen. Dort arbeitete er im Landwirtschaftsministerium und als Buchautor. Er ist heute 92 Jahre alt.

© SZ vom 30.04.2020 / sci - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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