"Der rote Mond" in Bad Tölz:Zeitreise mit Steckerleis

Lesezeit: 2 min

Stephanie Krug und Sophie Mengele geben einen Kurt-Weill-Abend

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Der evangelische Gemeindesaal mit seinen freundlichen, weißen Ballonlampen verwandelt sich am Freitag nicht in eine düstere Spelunke. Stephanie Krug und Sophie Mengele gelingt es dennoch, die Atmosphäre der Zwanziger- und Dreißigerjahre in den Saal zu zaubern. "Der rote Mond - es ist schon lange her": So haben die beiden ihren szenischen Liederabend mit Kompositionen von Kurt Weill betitelt, den sie in Bad Tölz als Benefizkonzert zugunsten der Wasserstiftung noch einmal geben. Herzschmerz und Sehnsucht, Unterdrückung und Zorn - die Zuschauer im vollbesetzten Gemeindesaal erleben einen ebenso mitreißenden wie einfühlsamen Abend.

Weill wurde in Deutschland vor allem durch seine Vertonungen der Texte von Bert Brecht bekannt; Lieder von unmittelbarer Kraft, deren plakative Wucht gar nicht so recht in unsere komplexe, teils virtuelle Welt passen wollen. Und die trotzdem oder gerade deswegen einen starken Sog entwickeln. Der "Bilbao Song", "Surabaya Johnny", "Mackie Messer" aus der Dreigroschenoper - mit wenigen Mitteln und großer Bühnenpräsenz gelingt es der Tölzer Sopranistin Krug und ihrer Begleiterin Mengele am Flügel, diese Welt wieder aufleben zu lassen: Hüte, schwarzer Mantel, eine rote Herzlampe, Licht in verschiedenen Farben, für das Schüler des Tölzer Gymnasiums verantwortlich zeichnen - recht viel mehr brachen die Akteurinnen nicht.

Ein Müllsack und leere Plastikbecher werden zum Symbol für den Schmutz und das Elend der einfachen Leute, die es heute noch wie damals gibt. Aus "Proletariat" wurde "Prekariat", die Probleme sind geblieben. Die Plastikbecher in der Inszenierung stehen nicht nur für den kapitalistischen Sumpf, den etwa Lion Feuchtwanger im "Lied von den braunen Inseln" (1928) angeprangert hat. Sie repräsentieren auch ein heutiges Problem, die Plastikmüllflut. Und so kann man aus den sozialkritischen Liedern der Zeit der Weimarer Republik durchaus aktuelle Relevanz herauslesen.

"Ich habe gelernt, meine Musik so zu machen, dass sie unmittelbar zum Publikum spricht, dass sie ganz direkt sagt, was ich sagen möchte", schreibt Kurt Weill, der als Jude ins amerikanische Exil flüchtete, mit seinen Musicals am Broadway Erfolge feierte und 1950 mit nur 50 Jahren an einem Herzinfarkt starb.

Den beiden Musikerinnen gelingt es hervorragend, die Unmittelbarkeit seiner Lieder zu transportieren. Krug, die am Mozarteum in Salzburg und in London studiert hat und als Solistin im In- und Ausland engagiert wird, beeindruckt mit ihrer wandlungsfähigen Stimme und ihrer großen Hingabe. Sie variiert Tempo und Dynamik, ist mal temperamentvoll und derb, dann wieder leise und verletzlich. Die Melancholie der französischen Chansons zu Texten von Maurice Magre vermittelt sie ebenso wie den zornigen Brecht. "Nimm mal die Pfeife aus dem Maul, du Hund", keift sie in "Surabaya Johnny" (1929). Oder sie sehnt sich in "Nanas Lied" (1939) zurück zu besseren Zeiten: "Wo sind die Träume von gestern Abend, wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr." Beim Gassenhauer "Mackie Messer" (1928) legen die beiden ein flottes Tempo vor, ehe Mengele, studierte Schulmusikerin mit Engagements etwa an den Kammerspielen oder am Münchner Marionettentheater, die Zuhörer mit einem träumerischen Solo bei einer kleinen Pause begleitet. Zwei junge Damen verkaufen Eis am Stiel - eine Art Verfremdungseffekt und Verweis auf das anti-illusionistische, epische Drama Brechts? Oder einfach eine nostalgische Reminiszenz an vergangene Gepflogenheiten in Lichtspieltheatern? Mit Steckerleis oder ohne - die Zuhörer honorieren diesen charmanten Abend mit viel Applaus.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: