Chormusik:Auf ungewohntem Terrain

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In der Aula der Tölzer Klinik begab sich das Ickinger Vokal-Ensemble unter der Leitung von Peter Marino auf eine weihnachtliche Zeit- und Europareise. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Ickinger Vokal-Ensemble gastiert mit seiner weihnachtlichen Europa-Reise in Bad Tölz. Dabei zeigen sich große Stärken in der Textwiedergabe, aber auch Schwächen in der Intonation

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

"Eine Weihnachtsreise" stand auf der Titelseite des Programmblatts. Natürlich dachte man da gleich an Maria und Joseph auf ihrer Reise von Nazareth nach Bethlehem. Diese Reise war aber nicht gemeint; das Ickinger Vokal-Ensemble hatte vielmehr weihnachtliche Stücke aus den verschiedensten Ländern zusammengetragen und gestaltete sein Programm als musikalische Reise durch Europa. Zugleich war es aber auch eine Reise durch die Zeit, denn das Spektrum reichte von Werken des 1548 geborenen Tomás Luis de Victoria bis zu denen mehrerer lebender Komponisten.

Zunächst einmal gingen die Ickinger selbst auf Reisen und brachten ihr Programm am Samstag in der Aula der Asklepios-Stadtklinik Bad Tölz zu Gehör; am Sonntag stand dann die Zweitaufführung in der evangelischen Auferstehungskirche Icking an. Böse Zungen könnten den Tölzer Auftritt als Generalprobe unter verschärften Bedingungen einstufen, bevor sich der Chor dem eigentlich entscheidenden Publikum, nämlich dem heimischen Freundeskreis, präsentierte. Doch das hieße den Sängerinnen und Sängern Unrecht tun, denn auch in Bad Tölz war der Chor mit Feuereifer und Herzblut bei der Sache. Leider war die Aula der Klinik nur etwas mehr als halb voll.

Das Programm begann mit "Der Morgenstern ist aufgedrungen" von Michael Prätorius. Hier zeigte der Chor gleich seine große Stärke: die klare Textdeklamation, die scheinbar mühelose Verständlichkeit ohne übertriebenes Konsonanten-Spucken. Chorleiter Peter Marino, der mit weit ausladenden Gesten dirigierte, hatte die sprachlichen Aspekte der Probenarbeit gut gelöst. Die Schwäche des Chors soll freilich auch nicht verschwiegen werden: die Intonation. Die Ickinger sind kein ausgeprägter A-cappella-Chor, sondern singen meist mit Instrumentalbegleitung. Diesmal aber bewegten sie sich auf dem ungewohnten Terrain des unbegleiteten Gesangs. Und so kam es immer wieder vor, dass der Chor ein Stück bis kurz vor dem Ende sauber sang; in den letzten Takten aber, wenn scheinbar die Schlacht schon geschlagen war, ließ die Konzentration nach, und die Intonation sackte ab. Inhomogene Schlussakkorde waren die Folge.

Das Programm stand unter dem Motto "O magnum mysterium" und enthielt vier Vertonungen dieses Texts, wobei jeweils eine alte und eine neue paarweise zusammengespannt waren. Nach der Renaissance-Fassung des Spaniers Luis de Victoria folgte eine neuzeitliche Version des Amerikaners Morten Lauridsen, die mit ungewohnten Klangballungen und Dissonanzen aufwartet. Der Chor meisterte die schwere Aufgabe Respekt gebietend, stieß aber auch hörbar an seine Grenzen. Das Tölzer Publikum, das bislang andächtig gelauscht hatte, zollte respektvollen Applaus. Ab da wurde fast jede Nummer beklatscht.

Die eigentliche Europareise führte in die Bretagne, nach Spanien, Russland, ins Tessin, nach Südfrankreich und Großbritannien. Besonders gut gelangen den Ickingern die fünf Sätze der "Spanischen Weihnacht" von Dieter Frommlet, die teils mit Rhythmusinstrumenten unterlegt waren und auch humorige Aspekte des Weihnachtsgeschehens thematisierten.

Im zweiten Konzertteil gab es eine aparte, originelle Einlage. Die "Offbeat Voices", ein 14-köpfiges Ensemble aus München, das ebenfalls von Marino geleitet wird, sang ein Stück mit den Ickingern gemeinsam und bot anschließend ein Kurzprogramm aus drei Nummern, darunter ein Close-Harmony-Arrangement von "Leise rieselt der Schnee" und eine freche Rock-Version von "Still, still, still". Dann waren die Ickinger wieder am Zug.

Kurz vor Konzertende gab es eine Panne. Bei "O magnum mysterium" in der Version von William Byrd setzte der Sopran falsch ein, und Marino musste abwinken. "Das kann man nicht mehr retten", erklärte er dem Publikum. Auch der zweite Anlauf war nicht perfekt; der Chor kam aber wenigstens durch. Und gerade dieses Werk war es, das nach dem Schlussapplaus die Zugabe bildete - jetzt aber im ganzen Saal verteilt gesungen. "Der Sopran in Takt 8 bitte ordentlich zählen!" mahnte Marino noch, bevor das Werk im dritten Versuch schließlich überzeugend gelang.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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